Nähe und Distanz - Ein Gespräch mit der Künstlerin Vivian Greven
Vivian Greven ist 1985 in Bonn geboren und hat von 2006 bis 2015 an der Kunstakademie in Düsseldorf studiert. Seither arbeitet sie als freischaffende Künstlerin in Düsseldorf. Im Sommer 2017 haben wir sie in ihrem Atelier besucht.
Wie bist Du dazu gekommen, Künstlerin zu werden? Wie hat sich das ergeben?
Seitdem ich denken kann, verspüre ich eine dringliche Notwendigkeit, etwas zu versprachlichen. Ich hab schon früh Musik gemacht, Theater gespielt und gezeichnet. Das hat mich immer begleitet und zunehmend mehr Raum gefordert. Irgendwann wurde es unumgänglich zu erkennen, dass ich Künstlerin bin und sein möchte. Das ist aber noch gar nicht so lange her, dass diese Einsicht für mich zutrifft. Ich habe lange reifen müssen, um diesen Gedanken auch aushalten zu können.
Also gab es keinen Knackpunkt. Es war eher ein Prozess?
Im Nachhinein, wenn ich mich als Kind betrachte, würde ich sagen, dass alles schon da war. Es ist irgendwie mit mir gewachsen. Da war immer eine Art Brennen und Jucken.
Wenn ich mir Deinen Lebenslauf anschaue, warst Du auch mal an der Bergischen Universität Wuppertal. Hast Du dort zu Ende studiert?
Ich habe parallel zum Studium an der Kunstakademie Anglistik und Amerikanistik mit dem Schwerpunkt Literaturwissenschaften in Wuppertal studiert und darin auch meinen Abschluss gemacht. Ich war wissenshungrig, offen und hatte Zeit. Ich fand es immer privilegiert studieren zu dürfen und habe dankbar alles mitgenommen. Ich wusste damals, ich kann das einsetzen, sowohl für meine Kunst als auch für meine Persönlichkeit. Im Nachhinein bin ich glücklich, denn ich fühle mich reich. Das ist jetzt alles in mir. Ich fühle mich geweitet.
Und wie war Dein Weg zu dem, was Du heute künstlerisch machst?
Ich habe ja zunächst Malerei studiert und mich sozusagen primär im Bild bewegt. Das wissenschaftliche Studium lief nebenher. Ich hatte folglich zum einen etwas gedanklich, Wissenschaftliches und zum anderen etwas sehr Malerisches und Visuelles. Das waren zwei Felder die sich nicht sehr stark ins Gehege gekommen sind, die ich scheinbar ein Stück weit voneinander trennen konnte. Nachdem mein wissenschaftliches Studium beendet war, habe ich noch mal eine Wende gemacht und eine Bildhauerklasse besucht. Das war im Nachhinein beobachtet ein starker Bruch. Das hatte einen großen Einfluss auf meine Bilder und meine künstlerische Arbeit hat sich visuell und inhaltlich verschoben. Sie hat dadurch einen stärkeren konzeptuellen Mitklang bekommen, der vorher vielleicht nicht so sichtbar war und nun offensichtlicher wurde.
Hast Du Dich auch mal verlaufen?
Das ist interessant. Ich glaube, ich habe dazu eine andere Wahrnehmung als das, was von außen an mich herangetragen wird. Ein Freund sagte mir kürzlich, die Dinge fügen sich sehr gut, passen gut zueinander, vom Anfang meines künstlerischen Schaffens bis hierhin. Ich selber habe die Zeit als enorm anstrengend empfunden und als sehr wellenartig, mit Irrwegen und Sackgassen. Das hat mich viel Kraft gekostet. Am schwierigsten war und ist wohl, mich zu dem zu bekennen, was da ist und nicht was sein soll. Es ist schwer nicht etwas anderes sein zu wollen. Es ist überhaupt schwer, zu sein und nicht zu wollen. Nicht einem Strom nachzugehen oder einer Richtung nachzulaufen, die irgendwer bejaht, sondern wirklich aufzuräumen. Zu schauen: Was ist die Essenz? Wenn nichts ist, was ist dann? Das ist anstrengend. Aber mein Freund hat recht, wenn ich mir die letzten Jahre meiner Schaffensphase anschaue, dann erkenne auch ich im Nachhinein einen Zusammenhang, auch wenn es sich in dem Moment als ich die Arbeiten gemacht habe, ganz anders angefühlt hat. So nahm ich doch bei jeder Wende an, ich würde mich selbst revolutionieren… das finde ich jetzt lustig.
Die Arbeiten, die ich von Dir gesehen habe, beschäftigen sich ja meistens mit Menschen und Gesichtern. Was fasziniert Dich so daran?
Malerei ist für mich ein Stück weit wie eine Haut, wie eine Oberfläche, die mit mir kommuniziert. In meinen Arbeiten geht es immer wiederkehrend um Kontakt. Ein Gemälde stellt ja ohnehin schon einen Kontakt her. Der Mensch als zentrales Thema oder als zentrale Form ist für mich dabei ein hilfreiches Mittel. Zum einen, würde die Malerei mich ohne Form vermutlich überrennen. Zum anderen, kann ich mich mit der Figur identifizieren. Empathie empfinden. Mit ihr in einen vis-à-vis Kontakt treten. Das ist ein Dialog. Letzten Endes ist dazu aber keine Figur von Nöten. Ich habe mir aktuell Werke von Lucas Cranach angeschaut. Beim Betrachten trete ich mit ihm und seiner Darstellung in Kontakt, kann seine Haltung und die Wahrnehmung seiner Welt spüren. Diese Art von Kommunikation ist großartig an der Kunst. Sie öffnet Türen und schlägt Brücken über Orte und Zeiten. Durch das Anschauen der Bilder komme ich also in einen direkten Kontakt mit ihm. Das fühlt sich sehr lebendig an.
Wo wir gerade bei Lucas Cranach sind... Deine Malerei weist einige Parallelen zur Malerei der Alten Meister auf. Fühlst Du Dich dadurch inspiriert?
Ja, sicherlich. Altmeisterliche Malerei würde ich jetzt dennoch nicht als mein Hauptsteckenpferd bezeichnen. Jetzt fällt mir gerade auf, dass ich gar nicht genau weiß, was altmeisterliche Malerei bedeutet. Wer sind die alten Meister? Wer ist der kunsthistorisch erste, wer der letzte? Eigentlich versuche ich offen durch die Zeiten zu gehen. So beschäftigen mich in diesem Moment besonders Holbein, Vermeer, Canova, Ingres, Rothko, Hockney, Cranach, Jonathan Bragton und Louise Giovanelli. Das kann aber morgen schon etwas anders sein. Ich würde sagen, dass ich mich in meiner Recherche hin- und her bewege und daraus fruchtbares Material gewinne, um damit zu arbeiten.
Im Gegensatz zur altmeisterlichen Malerei, wo der Mensch ja oft sehr genau und detailreich dargestellt wird, reduzierst Du Deine Bilder. Was ist für Dich das Wesentliche an Deinen Arbeiten?
Ich denke meine Arbeiten begehen eine Schnittstelle, welche ein Defizit aufweist. Ich möchte Arbeiten erschaffen, die so sinnlich sind, dass man ihnen näher treten möchte, sie berühren will oder sich von ihnen berühren lässt. Gleichzeitig verschließen sich die Bilder auch wieder. Ich kann letzten Endes nicht ganz in das Gemälde eintauchen oder mit der Figur verschmelzen. Da ist etwas sehr Zartes und gleichzeitig sehr Bitteres, wie ein Streicheln und dann eine darauffolgende Enttäuschung. Das hat viel mit meiner eigenen menschlichen Erfahrung zu tun. Die Erfahrung, die ich in dieser Welt darüber gemacht habe, wie es ist, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Ich habe das Gefühl, eigentlich sind wir einsame Wesen. Nähe hat immer auch Distanz als Gegenüber. So ist vielleicht aber das System. Das Leben hat ja auch immer den Tod als Gegenüber. Das schlägt sich in meiner Malerei nieder und das spiegelt sich auch in der Reduzierung, die da visuell stattfindet. Deshalb sieht man zum Beispiel nur das Schema eines Gesichtes - im Begriff haptisch und körperlich zu werden und dann doch wieder in der Auflösung schwindend. Farbflächen ummanteln und können teilweise so konkret werden wie ein Gegenüber. Eine weitere Figur? Es ist ein visuelles Wechselspiel zwischen Konkretion und Auflösung - Nähe und Distanz.
Gibt es ein Werk, in das Du besonders viel Energie und Gefühl investiert hast?
Das kann ich so nicht sagen. Ich versuche eigentlich jedes Werk gleichwertig zu behandeln. Vielleicht gibt es hinterher Werke, die ich lieber mag als andere. Aber wenn ich etwas beginne und erschaffe bin ich zunächst in einem ernsten Zeugungsakt. Mit Gefühl beim Schaffensprozess dabei sein, ist gut, aber im Grunde bin ich auch relativ kühl wenn ich male. Mir ist es wichtig auch eine Distanz zu haben, sonst bringe mich zu sehr ein. Das Bild muss atmen können.
Wenn Dich ein Kind fragen würde, was Du malst, was würdest Du antworten?
Was siehst Du?
Vielen Dank für das Gespräch, Vivian!
Das Gespräch führten Jennifer Rumbach und Christoph Blank
Text & Fotos: Jennifer Rumbach
Produktion: Christoph Blank