Faltung und Verschließung. Der Künstler Pietro Conti - Eine Betrachtung von Detlev Foth
Der aus Palermo – jener verschlossenen Stadt an der Nordküste Siziliens - stammende und 1972 ebendageborene italienische Künstler Pietro Conti, der seit vielen Jahren, zunächst in Wiesbaden wirkend, in Düsseldorf lebt und arbeitet, konfrontiert den Betrachter mit zu Objekten gewordenen „Stillleben“: schwer zu erfassen, nicht minder schwer einzuordnen, entziehen sie sich sofort und nachhaltig einer profanen Welt der bunten Bilder, den kirmesfarbenen Schaukästen der zeitgenössischen Spaß-Kunst, dem groben Schliff der heutigen Salonkunst, kurz, dem derzeitigen modischen Akademismus.
Wie verschafft man sich einen Zutritt zu Contis Welt? Indem man sein Werk betrachtet. Ganz einfach. Nur, Conti verwehrt dem Betrachter in seinen neuesten Arbeiten, den Faltungen und den Verschließungen, Sicht und Einblick. Zunächst, wie man sagen muss, scheinbar, wie man sagen könnte. Conti ist weniger der Visionär, als den ihn manche Sammler feiern, er ist vielmehr ein Poet. Die Korrektur, die Schwärzung, die Umwandlung, das Spiel mit dem Ungesagten, dem Verdeckten, dem Abgedeckten, dem Verborgenen, die geradezu ekstatisch betriebene Materialerkundung, das Unermüdliche, der nicht enden wollende, nie erlahmende Schaffensprozess, all dies macht Contis Kunst bzw. sein Selbstverständnis als Künstler und sein Verständnis von Malerei und insbesondere dem der Plastik aus.
Ein Bild will gesehen werden, das entspricht seinem Wesen, das ist seine Bestimmung. Oder etwa nicht? Conti wendet sich mit dieser Frage an uns. Um, sich mit der Arbeit „Faltung“ auseinandersetzend, ein Missverständnis von vornherein zu vermeiden: Conti ist kein Aktionskünstler, er ist Maler und Bildhauer.
Worum handelt es sich bei der „Faltung“? Kurz, zwei großformatige Malereien Contis werden von den Keilrahmen gelöst, mehrfach gefaltet und in eine rundum einsehbare Box aus Acrylglas, etwa halbmannshoch, verbracht, woraufhin der Künstler eben diese Box mit Bitumen auffüllt, nicht zur Gänze indes, um nicht gar sämtliche Spuren der verwahrten Gemälde zu verwischen bzw. auszulöschen. Conti unterwirft zwei seiner Gemälde also anscheinend dem Prozess der Vernichtung, fördert und steuert jedoch vielmehr einen ganz anderen Entwicklungsprozess, und zwar den der bildnerischen Metamorphose, bis hin zu einer Ding gewordenen Aussage von ganz erstaunlicher Plastizität, einem eigenen bzw. höchst eigenartigen Kunstwerk, entstanden aus der Opfergabe, wenn man so will, zweier Gemälde.
Ein Bild will gesehen werden? Natürlich! Tatsächlich und in jedem Falle? Selbstverständlich! Man wird jedoch eines Besseren belehrt, denn Conti zeigt auf, dass manchmal ein Kunstwerk verschlüsselt bzw. geschwärzt (hier Erdpech!) und transformiert und bisweilen aus der Eindimensionalität des Tafelbildes herausgeholt, ja von ihr erlöst bzw. insgesamt ausgelöst werden muss, um nur mehr wirklich gesehen werden zu können. „Faltung“ ist die Reaktion Pietro Contis auf eine Welt der Bilderinflation und der visuellen Reizüberflutung und stellt einen weiteren Bruch mit üblichen Sehgewohnheiten dar. „Zerstörung und Bewahrung“, eines der wichtigen Themen und künstlerischen Anliegen des Pietro Conti, wird in dieser Arbeit aufs Trefflichste akzentuiert. Ist dieser künstlerische Ansatzpunkt neu? Es könnte sein. Man mag sich vielleicht an die Schüttbilder von Hermann Nitsch - das „Poured Painting“ von 1963 beispielsweise - erinnert fühlen, man denkt womöglich auch an die Übermalungen eines Arnulf Rainer, bemüht rasch noch einmal dessen Textmanifest „Malerei um die Malerei zu verlassen“ von 1952. Ist „Faltung“ eine dreidimensionale Wiederauferstehung des „Concert Hall I“ eines Sam Francis, der diese Arbeit 1976 schuf? Möglich. Doch eines liegt viel näher: bei der Arbeit „Faltung“ aus der Serie „Faltungen“ handelt es sich um ein ganz eigenes Werk. Wir haben es hier mit einer beispielhaft konsequenten Arbeit eines in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Vertreters der Gegenwartskunst bzw. der Kunst nach 2000 zu tun.
Aber weiter: In der „Verschließung“ (angedeutete Palme, Ölfarbe,teilweise geschwärztes Mittelstück des Keilrahmens in Form eines kleinen Kreuzes) aus der Serie „Verschließungen“ erlöst er den Betrachter von dessen unausgesprochenem Auftrag, ein Werk zu studieren, indem er, Conti, es verschließt wie ein Zimmer mit Aussicht, wie einen Lebensreise-Koffer, der bestenfalls niemals je geöffnet werden soll, da dann diese wie jede Reise ja beendet wäre. Zwei Großformate, Gemälde, Bild an Bild, die Keilrahmen mit langen Nägeln aneinander getrieben, nur die jeweiligen Rückseiten bzw. Rückansichten preisgebend. Und dies ist, wie ich meine, ein Akt großer Konsequenz. Die hier besprochene „Verschließung“ aus der Serie der (anderen bzw. weiteren) Verschließungen, was ist sie, wenn nicht der Versuch, das Laute der Welt in ein – so scheint Conti uns sagen zu wollen – ihr ursprünglich zugedachtes Schweigen zu transformieren, das Fertige und Abschließende in das Werdende, das Gesagte in das Ungesagte und damit in das zu Sagende?
Eine Überinterpretation? Ich fürchte, nein.
Fotos: Jörg Strehlau