Junge Künstler zeigen neue Werke zum Thema “Identität”
Das Ignatz Bubis Gemeindezentrum Frankfurt inspiriert mit einer internationalen Ausstellung inmitten der COVID-Herausforderungen. Anlässlich der 40-jährigen Städtepartnerschaft zwischen Frankfurt am Main und Tel Aviv zeigt die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst zum Thema “Identität”. Bis zum 15. November 2020 sind im Foyer des Ignatz Bubis-Gemeindezentrums Kunstwerke von 18 jüdischen und nichtjüdischen Künstlerinnen und Künstlern zu sehen, die ihre Arbeiten zum Teil speziell für diesen Ort entwickelt haben. Die Ausstellung wird vom Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst sowie vom Kulturamt der Stadt Frankfurt am Main gefördert.
Die Jüdische Gemeinde hatte vielversprechende Absolventen von internationalen Kunstakademien eingeladen, Kunst zum Thema “Identität” zu entwickeln. Zu den Kunstschulen gehörten die Städel Schule Frankfurt, die israelischen Kunsthochschulen Beit Berl und Bezalel, die Slade School und das Goldsmiths College London. Unter den Absolventen sind auch Meisterschülerinnen und Meisterschüler internationaler bekannter Künstlerinnen und Künstler wie Andreas Gursky, Katharina Grosse und Tobias Rehberger.
Drei der teilnehmenden Künstler wurden ausgezeichnet: Raphael Brunk (1. Kunstpreis der Jüdischen Gemeinde Frankfurt), Olga Grigorjewa (2. Kunstpreis der Jüdischen Gemeinde Frankfurt), Paul Schuseil (Sonderpreis des Vorstandes der Jüdischen Gemeinde Frankfurt). Zusätzlich wird ein Publikumspreis vergeben. Besucher sind eingeladen, für das Werk ihrer Wahl ihre Stimme abzugeben.
Die Kunsthistorikerin Dr. Ruth Polleit Riechert hat sich mit Daniela Lewin, Kulturreferentin der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, zum Gespräch getroffen:
Die Jüdische Gemeinde in Frankfurt bietet ein vielfältiges Kulturprogramm an: Die Jüdischen Kulturwochen wurden 1980 gegründet und die Jüdischen Filmtage gibt es seit 2016. In diesem Jahr hat die Jüdische Gemeinde junge bildende Künstler eingeladen, ein Werk zum Thema “Identität” zu entwickeln. Wie ist es dazu gekommen?
Wir haben lange überlegt, bestimmt seit 2017, wie wir bildende Kunst und jüdische KünstlerInnen in unser Programm integrieren können. Der richtige Aufhänger und ein kuratorisches Konzept, hinter dem wir stehen, hat lange gefehlt bzw. musste reifen. Aufgehalten hat uns auch die Frage: „Gibt es jüdische Kunst?“ bzw. „Was macht ein Kunstwerk jüdisch?“ Um es gleich zu sagen, darauf haben wir natürlich keine Antwort gefunden. Die sich in diesem Jahr zum 40. Mal jährende Städtepartnerschaft zwischen Frankfurt und Tel Aviv hat schließlich den Rahmen geboten, einen eingeladenen Wettbewerb mit NachwuchskünstlerInnen aus eben diesen beiden Städten und der Welt zu initiieren. So entstehen Dialoge, gleichzeitig stellen wir vollkommen unabhängige Positionen vor.
Das Ignatz Bubis-Gemeindezentrum steht im Zentrum der Ausstellung. Die Künstler waren eingeladen, ein Werk im Einklang mit der Architektur dieses Gebäudes zu entwickeln. Das ist eine besondere Herausforderung, denn das Haus ist mit viel Geschichte verbunden. Wie hat sich diese Aufgabe künstlerisch und technisch auf die Entwürfe ausgewirkt?
Das Haus wurde 1986 eröffnet, insofern ist es für die Nachkriegsgemeinde symbolisch und im jüdischen Alltag ein wichtiger Bezugspunkt. Gleichzeitig ist die Architektur weit entfernt vom White Cube, insofern mussten wir KünstlerInnen einladen, die mit einem Raum arbeiten können. Die Resonanz war überraschend positiv: von 22 eingeladenen Künstlern haben wir 20 Einreichungen erhalten. Davon stellen wir jetzt 18 aus. Die KünstlerInnen sind ortsspezifisch auf besondere Gegebenheiten eingegangen, haben etwa Entwürfe für die Glasfassade, für die Balustrade, und für unter die geschwungene Freitreppe eingereicht. Ein Künstler hat sogar unmittelbar auf eine fest installierte Menora reagiert, die im Alltag kaum Beachtung findet. Eine interessante technische Beobachtung: Den KünstlerInnen sind Abweichungen in der Symmetrie der Architektur, die das Auge der meisten von uns nicht wahrnimmt, aufgefallen. Rein inhaltlich haben sie sich mit ihrer eigenen Identität und mit Judentum in Deutschland heute beschäftigt.
Die Ausstellung findet mitten im Leben der Gemeinde statt: Kinder besuchen die Schule, Eltern holen ihre Kinder vom Kindergarten ab und Senioren treffen sich im Club. Die Werke wurden von jüdischen und nichtjüdischen Künstlern entwickelt, die sich mit jüdischem Leben auseinandergesetzt haben. Welche verschiedenen inhaltlichen Ansätze kamen zusammen? Gibt es Werke, die Dich überrascht haben?
Das Ignatz Bubis-Gemeindezentrum ist ein lebendiger Ort, an dem der Alltag nicht für die Kunst unterbrochen werden sollte. Umgekehrt verstehen wir die Ausstellung als Experiment: Hier werden sicherlich einige Nicht-MuseumsgängerInnen Kunst begegnen. Das kann ein Initiationspunkt sein, bestimmt werden einige Positionen überraschen und zur Reflektion anregen. Inhaltlich ist eine große Bandbreite vertreten; der Begriff IDENTITÄT wirkt nicht eingrenzend; er bildet nur die Klammer, so dass eine Vielfalt zu erwarten war. Gleichzeitig treten bestimmte Themenkomplexe mehrfach auf, etwa die Beschreibung des „Dazwischenseins“ bei der Bestimmung der eigenen Identität, die häufig im Zusammenhang mit Migrationsbiografien auftritt. Auch das Rekurrieren auf den eigenen familiären Kontext, die Kindheit und natürlich die Schoa stellen keine Einzelposition dar. Gleichzeitig sind nicht alle Arbeiten persönlich: einige treffen universelle bzw. objektive Aussagen, manche sind stark im Kunst-Kunstkontext zu verorten, etwa die Frage nach dem Begriff der Plastik und wodurch sie heute charakterisiert ist – wir stellen hierzu zwei sehr aktuelle Antworten vor.
Es war nicht einfach, junge jüdische Künstler ausfindig zu machen. Mit der Ausstellung hast Du einen Anfang gemacht und eine Plattform geschaffen, um “jüdische Kunst” sichtbar zu machen. Welche Möglichkeiten siehst Du für die Zukunft?
Der Blick in die Glaskugel, ich weiß es nicht. Diverse Faktoren werden die Entscheidung mitbestimmen, einschließlich der Resonanz der KünstlerInnen, Gäste und Förderer, die wir für solche Unternehmungen, für die wir keinen Eintritt nehmen, erforderlich sind. Der Kulturabteilung würde eine Fortsetzung gefallen, vor allem, weil eine Kunstausstellung eine Form der Kommunikation ist, die – wie Tanz – im multikulturellen und -lingualen Umfeld fast ohne Sprache auskommt; weil das Feld insgesamt noch nicht übermäßig stark bearbeitet wird und weil sich häufig aus dem einen das nächste ergibt; weil man besser wird, wenn man tiefer einsteigt, und man neue Positionen entdeckt. Kurzum: Eine Fortsetzung oder Neuauflage zu unbestimmter Zeit wäre toll – das Projekt, der Kontakt und die Zusammenarbeit mit den KünstlerInnen, dem Ausstellungs- und Vermittlungsteam wie den GrafikerInnen haben uns große Freude gemacht!
Beteiligte Künstlerinnen und Künstler: Bernhard Adams, Elad Argaman, Raphael Brunk, Yael Frank, Liat Grayver, Olga Grigorjewa, Roey Victoria Heifetz, Atalya Laufer, Miriam Naeh, Anna Nero, Richard Nikl, Anna Perach, Nadia Perlov, Michal Raz, Antonia Rodrian, Paul Schuseil, Noga Shatz, Dahye Son.
Jury: Marc Grünbaum (Vorstand und Kulturdezernent, Jüdische Gemeinde Frankfurt), Iris Hasler, (Kuratorin für Gegenwartskunst, Städel Museum), Prof. Bernd Kracke (Präsident der Hochschule für Gestaltung Offenbach und Sprecher der Hessischen Kunsthochschulen), Ina Lockhart (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Dr. Ruth Polleit Riechert (Kunsthistorikerin).
Öffnungszeiten der Ausstellung:
Sonntag bis Donnerstag: 10:00 – 18:00 Uhr
Freitag: 10:00 – 14:00 Uhr
Samstag: geschlossen
Der Eintritt ist frei.
Text und Interview: Ruth Polleit Riechert