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Alienation – Amparo Sard im Kunstraum Nexus

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Amparo Sard wurde 1976 in Son Servera, Mallorca, geboren. Sie studierte Philosophie und Kunst an der Universität von Barcelona. Im Jahr 2000 gewann sie den Kunstwettbewerb “Identität” der Deutschen Bank in Frankfurt. Seitdem hat sie ihre Werke in mehr als 30 Einzelausstellungen in Galerien und Museen weltweit gezeigt, und ihre Werke sind Teil bekannter öffentlicher Sammlungen. Im Jahr 2018 wurde sie von der niederländischen Organisation LXRY als eine der 15 wichtigsten Künstler weltweit gewürdigt. Sie lebt und arbeitet auf Mallorca und lehrt als Professorin an der Universität von Barcelona.

Nach reiflicher Überlegung haben wir deine Ausstellung im Schloss Kronberg verschoben. Stattdessen hast du eine Ausstellung für unseren digitalen Kunstraum NEXUS entwickelt. Es handelt sich dabei um eine Auswahl an Werken aus deiner klassischen Serie und Bilder aus einer völlig neuen Serie. Was für deine Arbeit ungewöhnlich ist: Gelb taucht als Farbe auf – wie kam es dazu?

Im Januar bin ich nach Indien gereist, wo ich die Farbe Gelb häufig wahrgenommen habe. Allerdings konnte ich dort auch sehen, wie sich in den Flüssen Plastikberge aufbauten; und wie Tiere starben, weil ihre Mägen voller Plastik waren. Es ist schlimm, dass wir uns daran gewöhnen und es zulassen. Ich habe daher in meiner neuen Serie recycelte Kunststoffe verwendet. Aufgrund der wieder verwendeten Materialien erscheinen verschiedene Farben von ganz allein.

Ich war mit der Vicente-Ferrer-Stiftung in Indien. Die Organisation setzt sich dafür ein, Kindern und Frauen ein Leben in Würde zu ermöglichen. Zusammen mit anderen Künstlern ist es uns bereits gelungen, fünf Schulen für die Stiftung zu bauen. Das ist etwas, worauf ich sehr stolz bin. Aus diesem Grund arbeite ich mit so vielen NGOs zusammen. Es geht nicht darum, meiner Arbeit einen Sinn zu geben. Wenn man so viel darüber spricht, erreicht man nur das Gegenteil, aber es ist notwendig, das Bewusstsein zu schärfen. Je mehr wir unsere Kräfte bündeln, desto leichter ist es, zu helfen. Es ist möglich und notwendig, Mitarbeiter für die Umsetzung großer sozialer Projekte zu mobilisieren. Meine Arbeit hat mit meinem sozialen Engagement einen einen stärkeren konzeptuellen Bezug, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

In meinem Werk untersuche ich die Funktionsweise des menschlichen Bewusstseins in Bezug auf das Bild. Welche Rolle spielt das Bild im Zeitalter der Technologie und der “fake news”? Eine wichtige Frage, den wir glauben heute manchmal, dass alles, was um uns herum geschieht, Science-Fiction-Filme sind. Was den Zuschauer anspricht, sind die Bilder, die Spannung erzeugen. In meiner neuen Serie arbeite ich an dieser Idee weiter. In meinem Werk repräsentiert die weiße Farbe den Blick auf das, was wir mit den Augen nach außen hin wahrnehmen, das "Storyboard", eine lineare Lektüre unserer Umwelt. Aber für mich ist das nur die Hälfte des Bildes, das wir wahrnehmen. In dieser Hälfte ist es notwendig, einen anderen Teil desselben Bildes zu verbergen, den Teil, der wirklich Emotionen hervorruft. Dieser zweite Teil wird normalerweise mit schwarzer Farbe dargestellt: das, was wir von den Augen nach innen wahrnehmen, die Missbildung, die Spannung, die uns angesichts des Unbekannten und der Gefahr in einen Zustand der Aufmerksamkeit versetzt. Wir treten in die Sprache des Unheimlichen ein.

Es ist interessant zu sehen, dass du mit allen Arten von Materialien – von filigranen bis zu unzerbrechlichen – arbeitest. Dabei verfolgst du immer dein Gesamtmotiv der Perforation und Durchlässigkeit im übertragenen Sinne. Das neue Werk “Landscape” ist perforiert, wie deine Papierarbeiten, allerdings ist es aus Kunstharz hergestellt. Zeigt es eine Kombination aus allen deinen Ansätzen?

In gewissem Sinne, ja. Die Perforierung hilft mir, alles miteinander zu verbinden: das Bild zu brechen und seine unheimlichste Bedeutung anzudeuten. Das Bild, das erkennbar bleibt, wirkt für mich wie eine Metapher. Um Spannung zu erzeugen, muss es einen Anfang und ein Ende geben. Ein Anfangsbild, das uns daran erinnert, wie es sein sollte (von unserer Erinnerung projiziert); und ein Endbild, wie es uns im Kunstwerk präsentiert wird. Spannung kann in jeder Art von realen Situationen auftreten, im Leben selbst, und sie kann in der Kunst verschiedener Disziplinen oder Techniken zum Ausdruck kommen.

In meiner Pool-Serie verwende ich Kunstharz. Harze sind die Darstellung der Wasserdichte oder im übertragenen Sinn das Bewusstsein für das im Werk dargestellte Stück Raum. Ich weiss, dass die Komposition von bestimmten Farben mit Schönheit assoziiert werden kann. Aber für mich erinnert sie eher an angesammelte Materie, wo Volumen die Farbe übertrumpft. Es ist wie das Schneiden von Wasser oder Landschaft mit einem Messer.

 
Amparo Sard, Untitled (Precarious Reactions Series 2), 2020

Amparo Sard, Untitled (Precarious Reactions Series 2), 2020

Amparo Sard, Untitled (Precarious Reactions Series 1), 2020

Amparo Sard, Untitled (Precarious Reactions Series 1), 2020

Amparo Sard, Landscape Deconstruction 4 (black mountain and self portrait), 2020

Amparo Sard, Landscape Deconstruction 4 (black mountain and self portrait), 2020

Amparo Sard, Landscape Deconstruction 9 (there is a drawing inside), 2020

Amparo Sard, Landscape Deconstruction 9 (there is a drawing inside), 2020

 

Wie hat sich der Lockdown auf deine Arbeit mental und technisch ausgewirkt?

Aufgrund von Covid-19 musste ich mich zu Hause einschließen, und alles wurde schwieriger. Projekte mit großen Skulpturen wurden verschoben. Die Serie, an der ich vor dem Lockdown arbeitete, war “Selfies in India”. Ich habe mit dieser Serie begonnen, weil, als ich in Indien war, Kinder darum baten, Selfies mitzunehmen. Ich habe viele Fotos, sowohl Porträts als auch Selfies, gesammelt.

Für diese Serie thematisiere ich einen kritischen Umgang mit dem Verhalten von Menschen. Wenn wir ein Selfie nehmen, achten wir nur darauf, ob wir auf dem Foto gut aussehen. Der Selfie-Moment komprimiert die Selbstabsorption, der die soziale Umgebung unterworfen ist und auf die sie sich konzentriert. Ein in Millisekunden komprimierter Moment eines Lebens, in dem wir uns der ungeheuren Realität, die uns umgibt, nicht bewusst sind. Oder wenn wir sie sehen, reagieren wir nicht.

Auch diese Porträts werden mit Hilfe großer 3D-Löcher deformiert. Ich beabsichtige, dass der Betrachter eine gewisse Unruhe oder Angst empfindet, wenn er auf diese Realitäten der “sozialen Zersetzung” blickt, denen gegenüber wir nicht untätig bleiben sollten. Denn auch wenn sie “unecht” aussehen mögen, so sind sie es nicht.

Vor dem Hintergrund des Lockdowns wurden die Selfies in Indien, die für mich persönlich bereits bewegend waren, noch bedeutender. Als ob die Formen, die den Selfies eine Figuration gaben, herabstürzten, Berge bildeten und zersetzende Landschaften schufen, die, ohne danach zu suchen, den globalen Geisteszustand beschreiben.

Amparo Sard, Selfie mit Meena, 2020, Recycelter Kunststoff, 50 x 60 x 4 cm. Von der katalanischen Regierung für ihre Sammlung erworben.

Amparo Sard, Selfie mit Meena, 2020, Recycelter Kunststoff, 50 x 60 x 4 cm. Von der katalanischen Regierung für ihre Sammlung erworben.

Wie haben sich aufgrund deiner Erfahrungen aus dieser Zeit deine zukünftigen Pläne verändert?

Was die Ausstellungen betrifft, so ist wegen der Pandemie alles verschoben. Geplant sind: Ausstellungen in der Galerie Phoebus Rotterdam (Oktober 2020), Monaco Modern (Januar 2021), das Museum DA2 (Februar 2021), der eingeladene Künstler für die erste Skulpturenmesse CEJA (Mai 2021), die Galerie Rena Bransten San Francisco (2021) und internationale Kunstmessen. Drücken wir die Daumen, aber ich glaube, dass dies Momente sind, in denen die Künstler sehr hart arbeiten müssen, und mehr denn je produzieren sollten.

In meiner Arbeit möchte ich eine Möglichkeit entwickeln, meine kleinen perforierten Papierarbeiten (32,5 x 46 cm) in ein Format von 2 x 3 Metern umzuwandeln. Zu diesem Zweck arbeite ich mit einem Technologieunternehmen in Saragossa und dem besten Papiermuseum, dem Moli de Paper de Capellades Museum, zusammen. Zuerst müssen wir Gussformen herstellen und dann handgeschöpftes Papier mit Volumen und Perforierung bearbeiten. Ich bin sehr gespannt auf dieses Experiment. Außerdem arbeite ich intensiv an großformatigen Aluminiumskulpturen mit Perforierung. Dafür habe ich in Madrid eine passende Gießerei gefunden.

Die Idee der digitalen Kunsträume ist in Zeiten wie diesen etwas Wunderbares. Mit NEXUS arbeite ich mit einem IT-Spezialisten an neuer, digitalen Kunst und Möglichkeiten für 3D-Darstellungen. Insofern hat die schwierige Zeit auch positive Seiten.

www.rpr-art.com/nexus
www.amparosard.com

Photos: Amparo Sard

Der unabhängige Kunstraum NEXUS wurde 2019 von den Künstlern Raphael Brunk und Bernhard Adams sowie der Kunsthistorikerin Dr. Ruth Polleit Riechert und dem IT-Experten Philipp Brückner gegründet. Er bietet Künstlern die Möglichkeit, ihre Kunstwerke digital zu präsentieren, um weltweit ein neues Publikum zu erreichen.