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Saint Andrew's Vision of the Great Trek – Settler Propaganda from 1836 to the Present Day – sponsored by Leek Phone (TM)

Andrew Gilbert, Installationsansicht, Sperling, München, Foto: Sebastian Kissel

Andrew Gilbert, Installationsansicht, Sperling, München, Foto: Sebastian Kissel

 

Wer ist Andrew Gilbert?

Der in Berlin lebende und in Schottland geborene Künstler Andrew Gilbert besuchte 2017 Südafrika, um seine Forschungen über die komplexe Geschichte Südafrikas fortzusetzen. Seine südafrikanischen Bezüge sind Teil eines umfangreichen Werkkomplexes: Gilbert beschäftigt sich mit Themen des Kolonialismus, der Ausbeutung und Gewalt sowie des Materialismus und der Korruption. Seine künstlerische Vision geht über die Wahrheiten und Lügen hinaus, die die ofziellen Versionen in akademischen Texten und Museumsausstellungen sind. Dabei nimmt er verschiedene imaginäre Identitäten an, wie “Queen of Brocoli”, “Andrew the Emperor Liberator of the Dark Continent” und viele andere. Diese imaginären Identitäten sind Teil seines künstlerischen Schafens, da seine Sujets in ähnlicher Weise entpersonalisiert sind. Sie bilden die Bühne für jene Suspension des Unglaubens, die man als die bewusste Vermeidung kritischen Denkens oder der Logik bei der Untersuchung von etwas Surrealem beschreiben kann.

Was inspiriert ihn?

Andrew räumt ein, dass er als vierjähriger Junge eine lebenslange Faszination für die Geschichte der Zulu entwickelte, insbesondere für die von Shaka kaSenzangakhona (ca. Juli 1787), auch bekannt als Shaka Zulu, der von 1816 bis 1828 König des Zulu-Königreichs war, bis er von seinen Brüdern ermordet wurde. Die erste Begegnung des Künstlers war die amerikanische TV-Miniserie "Shaka Zulu" im Jahr 1986, die von damaligen Intellektuellen stark kritisiert wurde. In einer vernichtenden Rezension in der LA Times vom 21. September 1986 bezeichnete Howard Rosenberg sie als "blutrünstig, töricht und erniedrigend“. Die angeblich blutrünstigen Zulus von gestern sind in fast jeder Einstellung von "Shaka Zulu" zu sehen und werden zu einer negativen Metapher für die schwarzen Südafrikaner von heute. Das Bild eines wilden Stammes im angeblichen Gegensatz zu den "zivilisierten Weißen“ wurde verstärkt. Der vorherrschende Glaube war, dass die südafrikanische Apartheid-Regierung hinter "Shaka Zulu" steckte und man sich – verständlicherweise – nicht darauf verlassen konnte, dass sie die Geschichte der Zulu korrekt wiedergibt.

"Tatsächlich könnte es sich um die gewalttätigste Fernsehproduktion handeln, die jemals in Amerika landesweit ausgestrahlt wurde. Es wird viel Blut vergossen und Blut getrunken, es wird viel gestochen und grausig aufgespießt, wobei sich viele der aufgespießten Tiere auf langen Stöcken winden. Es gibt Bestattungen von Lebenden und einige Enthauptungen, die Nahaufnahmen des Kopfes und des kopfosen Körpers ermöglichen.“

Die starken Bilder, die dieser Film evoziert hat, müssen einen jungen Geist, der in Schottland lebt, schwer getrofen haben. Sie blieben bei Andrew, der sich später zu einem Künstler entwickelte, der europäische und südafrikanische Schlachten in seinem charakteristischen Stil, einer Mischung aus Absurdität und Tragikkomödie, darstellt. Möglicherweise sind es diese Kindheitserinnerungen, die zum Vorschein kamen, als er das Bild der jungen, unschuldigen, großäugigen Jungen in ihren Schottenröcken malte, die in viele der Kriege der Kolonialzeit verwickelt waren, in denen die Briten gegen die Buren (Afrikaaner) kämpften und das Abenteuer die Verlockung war. Aber wenn man sich das Bild dieser Jungen mit den rosigen Wangen genauer ansieht, sieht man Körperteile, Blut und entsetzliche Gewalt in einer weiten und wütenden Landschaft. Der Text, der über dieses Bild geschrieben steht, lässt den Betrachter erschauern: „Forward the Seaforth Highlanders“

Die südafrikanischen Motive, die wir in dieser Ausstellung sehen, werden uns so präsentiert, dass die Handlung auf fast flmische Weise in den Vordergrund der Bildebene gerückt wird. So, dass in jedem Bild eine Erzählung entsteht. Dieses künstlerische Mittel kann mit einem Bühnenbild verglichen werden, das viele Vorläufer des Absurden in Erinnerung ruft; in Theaterauführungen wie Ionescos Nashorn oder Kafkas Metamorphisis, wo Gregor Samsa zu einem "monströsen Ungeziefer" wird.

Warum Gemüse?

So hart und unnachgiebig die Handlungen der meisten von Andrews Protagonisten auch sind, so gibt es doch einen grundlegenden Sinn für ihre gemeinsamen Züge. Die meisten seiner Sujets haben sich von lebendigen, erkennbaren Charakteren in charakterlose, nicht-menschliche, nicht- tierische, anthropomorphe Kreaturen verwandelt. Relativiert dies die Darstellung von Grausamkeiten oder gibt es einen universellen Vorteil, wenn bestimmte Individuen nicht identifzierbar sind? Eine Herausforderung für den Betrachter. Lächerlich? Vielleicht – schließlich identifziert sich Andrew selbst als die "Queen of Brocoli“. Somit werden wir von diesen Werken auf allen Ebenen herausgefordert.

In einem Gespräch mit mir erinnerte sich Andrew daran, dass er als Kind in Schlachten Trauben- und Ananas-Menschen hinein gezeichnet habe: „Als ich dann als Student die sogenannte „Stammeskunst“ im Museum in Edinburgh entdeckte, wollte ich die organische magische Textur von Mystikern und kirchenfeindlichen Ansichten nachbilden. Infolgedessen wurde eine mit Nägeln bedeckte Karotte (wieder in Anspielung auf die Objektanbetung) zur Repräsentation der vollständigen göttlichen Erfahrung Christi; die gehackte Karotte als Hostie, eine verdünnte Cola Light-Version der religiösen Erfahrung, die der oder die Anbetende durch die Struktur der Kirche erhält.“

Sein andauernde Darstellung von Gemüse erinnert an die Wechselbeziehung zwischen Landwirtschaft und Zivilisation, die gegenwärtig eine wichtige Debatte in unseren ökologischen Krisen ist. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Landwirtschaft in der alten Zulu-Kultur ein wichtiges Element der Erlösung und Anbetung war. In einem Gespräch mit dem südafrikanischen Historiker und Museumskurator Steven Kotze erinnerte er mich an eine Zulu- Zeremonie, die erstmals im 18. Jahrhundert zu Shakas Zeiten praktiziert wurde. Sie hieß Umkhosi (die erste Fruchtzeremonie des nationalen Erntefestes) und war ein fünftägiges Fest, bei dem sich der Zulu-König in Laub kleidete und sich mit Obst und Gemüse schmückte. Dieser symbolische Akt der Buße ähnelt der jüdischen Tradition von Jom Kippur.

Das „Leek-Phone“

In viele von Andrews Bildern ist eine Kritik des Humankapitalismus und der Gier eingebettet. Als ich ihn nach der Bedeutung und dem Ursprung eines seiner beständigsten Symbole, dem Leek Phone, frage, antworte er: "Meine Leek-Telefonfrma ist ein Nachfolger meiner Ananassaftfrma namens Cresswells, die 1998 gegründet wurde, als ich Kunststudent in Edinburgh war. Diese Pseudo-Firmen erlauben es mir, durch Humor und Absurdität die Verbindung zwischen Krieg und Kommerz, Werbung und Propaganda aufzuzeigen. Sie kommentieren auch die zeitgenössische Verehrung des Objekts, den Tod der Religion im Westen.“

Er führt weiter aus, dass das Leek Phone im globaleren Kontext zu sehen ist, und vergleicht das Mobiltelefon mit antiken Fetischobjekten, die es dem Benutzer ermöglichten, mit einer anderen Realität in Kontakt zu treten. Das Leek-Phone in dieser Ausstellung ist von der romanischen Kathedrale von Vezelay in Frankreich aus dem 11. Jahrhundert inspiriert, von der bekannt ist, dass sie in direktem Zusammenhang mit der Kreuzfahrerbewegung steht. Gilbert verwendet architektonische Elemente dieser Kathedrale und schmückt das Telefon mit dem Bild eines schwebenden Judas, das von dem parodierenden Slogan “even when you are hanging around - Leek Phone connects.” („Selbst wenn Sie herumhängen - Leek Phone verbindet“) begleitet wird. Die Gesichtszüge der beiden Teufel sind in der Art afrikanischer Masken dargestellt, die auf eine starke Tradition rassistischer Darstellungen verweist.

Museen und Denkmäler

Andrew Gilbert war begeistert als er während seines Studiums in Edinburgh ein Denkmal für das Hochlandregiment mit der Inschrift "Andrew Gilbert, killed South Africa 1900" entdeckte. Ofensichtlich eine Nachricht für ihn via Leek Phone. Dies spornte ihn dazu an, sich in die Geschichte der südafrikanischen Kriege zu vertiefen – eine Leidenschaft, die einen großen Teil seines künstlerischen Schafens geprägt hat. Im vergangenen Jahr 2019 pilgerte er schließlich zum Grab seines Namensvetters (Generalmajor Andrew Gilbert Wauchope) auf das Schlachtfeld von Magersfontein. Die entstandene Zeichnung zeigt ein keltisches Kreuz inmitten einer glühenden Landschaft. Der gesamte Friedhof ist mit kleinen violetten Blumen bedeckt – im Gegensatz zum braunen, trockenen Boden, der ihn umgibt. Wir wissen, dass Denkmäler ihrem Wesen nach von den Siegern errichtet werden, aber, wie uns die Geschichte lehrt, behalten Sieger ihren Ruhm nicht für immer. Neue Schlachten, neue Verlierer, neue Gewinner sind Teil des Fortschreitens der Geschichte, und Denkmäler fallen und zerfallen dementsprechend. Auf seiner Suche nach der Vergangenheit besuchte Andrew auf seiner Forschungsreise 2019 auch die Voortrekker-Denkmäler in Winburg und Pretoria, die auch in Arbeiten dieser Ausstellung abgebildet sind. Sie wurden errichtet, um an die Vormachtstellung der weißen Afrikaans zu erinnern. Sein Bild des Denkmals in Winburg ist das eines Chaos in einer stürmischen Wildnis, während das Denkmal in Pretoria mit einem roten Ballon gezeigt wird, der es in der Luft schweben lässt, als hätte es seinen Platz verloren.

Andere Werke zeigen die Einfachheit und Entschlossenheit der frühen Voortrekker, die die von den Briten kontrollierte Kapkolonie verließen, um der britischen Herrschaft zwischen 1835 und 1846 zu entkommen. Bekannt unter dem Namen "The Great Trek“ entwickelten sich über Jahre eine Abfolge verschiedener Kriege und rassistischer Verbrechen wie der Politik der Apartheid und einer nicht funktionierenden Demokratie. Nichts davon entgeht der Aufmerksamkeit des Künstlers, und es scheint, als trete er zurück und erlaube den Torheiten und der Gier der Menschheit, für sich selbst zu sprechen. Es ist eine Tatsache, dass politische Befreiungen neue Helden schafen und versuchen, frühere Erzählungen überwinden. Das ist Geschichte.

Andrews Werk ist ein objektiver Blick auf die Geschichte, in der Gut und Böse beiden Parteien gleichermaßen gehören. Er ofenbart die universelle Absurdität von Machtkämpfen, Landansprüchen, Vorurteilen und kapitalistischer Anbetung beliebiger Objekte. Wir kommen aus der Ausstellung mit der Erkenntnis von der Bedeutungslosigkeit all der Kämpfe und Schlachten, die Teil des "Fortschritts" der Menschheit waren. Die Gemüse-Charaktere erinnern an die verfehlte Rationalität und Gier, die zerstören und Chaos schafen können.

"In jeder Tragödie bleibt ein Element der Komödie erhalten. Komödie ist nur umgekehrte Tragödie." (Wislawa Szymborska)

 
Andrew Gilbert, Installationsansicht, Sperling, München, Foto: Sebastian Kissel

Andrew Gilbert, Installationsansicht, Sperling, München, Foto: Sebastian Kissel

Andrew Gilbert, Installationsansicht, Sperling, München, Foto: Sebastian Kissel

Andrew Gilbert, Installationsansicht, Sperling, München, Foto: Sebastian Kissel

 

Ausstellung: Sperling, München (bis 28.02.2021)

www.sperling-munich.com

Text: Carol Brown
Fotos: Sebastian Kissel (Sperling, München)

Carol Brown arbeitet als unabhängige Kuratorin und Schriftstellerin. Sie ist die ehemalige Direktorin des Durban-Museums und der Kunstgalerie, Durban, Südafrika.

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