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Philipp Stöckel – Schneller, Höher, Weiter

Ausstellungsansicht “feedback loop”, Galerie Kleindienst, Leipzig, 2023

 

Getreu dem Motto „Schneller, Höher, Weiter“ sind Leistungsoptimierung, Produktivitätssteigerung und der Anspruch auf Perfektionismus heute Parameter eines erfolgreichen Lebens. Gleichzeitig gilt es deswegen nicht minder, sich auf die Suche nach seiner inneren Mitte und seinem wahren Selbst zu begeben, sich trotz aller Rast- und Ruhelosigkeit ausreichend Auszeit einzuräumen und dank gesunder Selbstliebe, Menschlichkeit und Fehlbarkeit zu akzeptieren. Diese dualistischen Ideale vereinnahmen das gegenwärtige Denken, Fühlen und Streben – und ebenso wie unser Weltbild von solchen Erwartungen eingefärbt ist, sind es auch unsere Bildwelten. Dabei wurden das Internet im Allgemeinen und Social Media Plattformen im Besonderen zu Repositorien, scheinbar unendlicher Mengen an Grafiken und Fotografien. Stündlich, minütlich, ja sekündlich werden Millionen von Bildern in diese digitalen Echokammern gespült.

In seinen Arbeiten gelingt es Philipp Stöckel, diese zeitgenössischen Phänomene von Selbstoptimierung, Perfektionierungskultur und der unablässigen Suche nach Glück zu erschließen. Aus dem stetigen Fluss des Internet-Traffics und der webbasierten, ephemeren Bildwelten greift er symptomatische Bilder heraus und konserviert sie – geradezu dokumentarisch – für die Zukunft. Generische Hotelanlagen, uniforme Pool-Landschaften und Liegestühle vor idyllischen Palmenhainen: Es sind künstlich geschaffene Sphären kollektiver Massenerholung, die den Hintergrund seiner Gemälde bilden. An diesen Sehnsuchtsorten soll “mensch” von jetzt auf gleich abschalten und möglichst effizient die leeren Akkus wieder aufladen können. Von den stereotypen Urlaubsszenerien heben sich Zeichen und Icons ab, deren ursprüngliche Funktion darin besteht, Eigenschaften, Befehle oder Dateien zu repräsentieren. In unterschiedlichsten Zusammenstellungen kombiniert bzw. collagiert, treten die Symbole mit dem Hintergrund aber auch untereinander in Verbindung; sie ergänzen sich und eröffnen im Kontext der Gesamtkomposition neue Narrative. Sporttreibende „stick figures“, Cocktailgläser, Sonnen und Sonnenschirme gehören zum Repertoire der wiederholt verwendeten Icons.

Hinter dem Schaffensprozess steht ein komplexes und arbeitsintensives Verfahren. Der Künstler bearbeitet das ausgewählte Bildmaterial digital und überträgt es anschließend in mehreren, sich überlagernden Schichten auf den Bildträger. Wesentlich für die Übertragung der fotografischen Vorlagen ist die Konvertierung in die vier Grundfarben Cyan (C), Magenta (M), Yellow (Y) und Key (K) – die sogenannte CMYK-Separation. Solche Vierfarb-Skalen bilden die Grundlage herkömmlicher Digitaldruckverfahren, wobei die einzelnen Farbebenen entweder nacheinander oder simultan auf das Druckmedium aufgetragen werden. Diesen maschinellen Druckvorgang imitierend, überträgt Stöckel die CMYK-Farbschichten des von ihm ausgewählten Fotos einzeln mit AirBrush Technik auf den Bildträger. Während des Prozesses kommen selbstkonstruierte Werkzeuge zum Einsatz, die es dem Künstler ermöglichen – anders als für AirBrush charakteristisch – kontrollierte, präzise und geradlinige Streifen ziehen zu können.

Dieses fotografische Bildmaterial wird im Folgenden von Icons überlagert. Die sonst eigentlich an einen konkreten Nutzen gebundenen, ikonischen Zeichen werden nun im Sinnzusammenhang des Bildgeschehens umcodiert, de- und neu kontextualisiert. Von ihrem ehemaligen Zweck und ihrer ursprünglichen Eindeutigkeit befreit, wird den Symbolen im Rahmen einer spezifisch bildinhärenten, semiotischen Kohärenz eine Mehr- bzw. Vieldeutigkeit verliehen.

Zwar beruhen sowohl die Auswahl der Fotos als auch die der Icons auf keinem im Vorfeld festgelegten Plan, die einzelnen Phasen bei der technischen Umsetzung hingegen sind streng durchkalkuliert. Die repetitiven, eingeübten Abläufe und die automatisierten Handgriffe lassen den Künstler zu einem Teil der Produktionskette werden; er wird zum Cyborg. Teils Mensch, teils Maschine. Der anfangs zentrale, konzipierende Geist, weicht im Prozess einem, im Einklang mit seinen Maschinen ebenfalls mechanisch agierenden Körper. Dahinter verbirgt sich der utopische Versuch, alle Vorgänge bis zur Perfektion zu optimieren – und damit eine formalästhetische Analogie zur inhaltlich-thematischen Bedeutungsebene der Werke. Ebenso wie die individuelle Suche nach Vollkommenheit lediglich eine Suche bleibt, so bleibt auch der Versuch, ein technisch makelloses Bild zu malen, nur ein Versuch. Trotz aller Akribie sind “Fehler“ in den Bildern erkennbar: kleinste Spuren verlaufener Farbe, winzige Übermalungen von Rändern, marginale Formungenauigkeiten. Angesichts der ansonsten makellosen Gesamterscheinung, lösen diese Spuren menschlichen Missgeschicks einen Moment der Irritation aus. Zugleich dienen sie als subtile Hinweise auf den nicht-maschinellen Ursprung der Objekte und die imperfekte und fehlerhafte Natur des Menschen.

In den vergangenen zwei Jahren veröffentlichte Stöckel noch weitere serielle Arbeiten. Hugs, eine Gruppe mehrerer kleinformatiger Gemälde, zeigt die Silhouetten zweier sich umarmender Icons. Trotz aller formaler Reduktion, vermitteln die aneinander geschmiegten Figürchen ein Gefühl tiefer Innigkeit.

Die nach den dargestellten Glückskeksen benannte Serie Fortune Cookies, konfrontiert die Betrachtenden mit der irrationalen, egozentrischen aber zutiefst menschlichen Neigung, die sich in bunten Großbuchstaben über das Bild erstreckenden, pseudo-prophetischen Lebensweisheiten auf die eigene Zukunft zu beziehen. “A big fortune will descent upon you this year” wird zur individuellen Verheißung; “It’s your lucky day” zur exklusiven Selbstaffirmation.

 

Ausstellungsansicht “feedback loop”, Galerie Kleindienst, Leipzig, 2023

strive thrive arrive, 2023, Acryl auf Holz, 100 x 80 cm

falling, 2023, Acryl auf Holz, 100 x 80 cm

heavy rain, 2023, Acryl auf Holz, 100 x 80 cm

morning routine, 2023, Acryl auf Holz, 100 x 80 cm

Fortune Cookie 1, 2022, Acryl auf Leinwand, 100 x 80 cm

Fortune Cookie 3, 2022, Acryl auf Leinwand, 100 x 80 cm