Mein Interesse ist das Digitale – Der Künstler Raphael Brunk im Gespräch mit Ruth Polleit Riechert
Nachdem Andreas Gursky seine Lehrtätigkeit an der Düsseldorfer Kunstakademie dieses Jahr beendet hat, ist Raphael Brunk einer seiner letzten Meisterschüler. Mit einer weltweit einzigartigen Technik bildet Raphael virtuelle Landschaften und Architekturen in hochauflösenden Fotografien ab. Ruth hat ihn im Februar 2017 das erste Mal getroffen, als er zwei seiner Arbeiten in der Kunstakademie ausgestellt hat. Seitdem hat sie seinen Arbeitsprozess verfolgt und im März mit ihm über seine Kunst gesprochen.
Wann und warum hast Du angefangen als Fotograf und Künstler zu arbeiten?
Meine erste Kamera habe ich im Januar 2012 gekauft, als ich noch Politik studiert habe. Dann hat sich alles ziemlich schnell entwickelt. Zuerst habe ich angefangen bei einem befreundeten Fotograf zu assistieren. Ende 2012 habe ich dann meine ersten freien Arbeiten gemacht, die schließlich in meinem Bewerbungsportfolio für die Kunstakademie Düsseldorf gelandet sind. Es gibt kein spezifisches "Warum", es ist einfach die Art und Weise, in der ich mich am besten ausdrücken kann.
Deine Herangehensweise an das Thema Fotografie ist neu. Was genau interessiert Dich und welche Technik steckt hinter Deinen Arbeiten?
Ich interessiere mich grundsätzlich für alle Bildgebungsprozesse, besonders die digitalen. Wenn ich eine Idee habe, fange ich an, nach der Technik zu suchen, die mich ans Ziel bringt. Manchmal kann die Technik auch die Idee sein. Dann versuche ich herauszufinden, welche Möglichkeiten sie mir bietet. Das kann beispielsweise eine speziell entwickelte, digital emulierte Kamera sein, die es mir ermöglicht, Gigapixelfotos in Computerspielen zu schießen, oder ein Fünf-Euro-Scanner oder ein neuronales Netzwerk, das Bilder für mich erschafft.
Wer oder was inspiriert Dich? Welchen Einfluss hat Andreas Gursky?
Ich könnte niemals eine einzige Inspirationsquelle nennen. Im Grunde dient jede sinnliche Erfahrung, sei sie digitaler oder realer Natur als potentiell inspirativer Moment. Da ich das Glück hatte, in einer Klasse für Freie Kunst zu studieren, konnte ich viele verschiedene künstlerische Arbeits- und Sichtweisen kennenlernen, was sicherlich auch die eigene Arbeit beinflusst hat. Natürlich habe ich speziell von Andreas Gursky, als meinem Professor, einige sehr wertvolle Denkanstöße bekommen und letztlich auch gelernt, die eigene Komfortzone zu verlassen und neue Schritte zu wagen, dabei allerdings nie den Glauben an die eigene Arbeit zu verlieren. Seinen Ansatz, die Bildwürdigkeit jeder Arbeit zu hinterfragen, empfinde ich zudem als extrem hilfreich.
Deine Arbeiten sind sehr progressiv. Mit Andreas Gursky hast Du viel darüber gesprochen, dass in der Fotografie eigentlich schon alles da ist und es nichts wirklich Neues mehr gibt.
Im klassischen Sinne ja. Mit der Kamera durch die Welt zu gehen, um Industrietürme zu katalogisieren und zu archivieren und das was dann später kam: Struth, die Straßenbilder, die ganzen architektonischen Aufnahmen; so habe ich auch angefangen. Im Grunde war das mein Einstieg in die Fotografie: die Becher-Schule. Genau solche Arbeiten habe ich gemacht. Jedoch waren meine Arbeiten nichts Neues. Sie fügen der Kunstgeschichte nichts hinzu. Darüber habe ich mir ein Jahr lang Gedanken gemacht. Wie kann ich das umgehen, aber trotzdem fotografisch arbeiten? Und dann habe ich angefangen, in einem Computerspiel zu "fotografieren".
Hast Du die Computerspiele dazu umprogrammiert?
Vor drei Jahren gab es noch keine Software, mit der man in Computerspielen so fotografieren konnte, dass man Bilder generieren konnte, deren native Auflösung dreistellige Megapixel-Sphären erreicht, also so, dass es über einen normalen Screenshot hinausgeht. Meine Idee war: Ich will in Computerspielen fotografieren, aber die Arbeiten müssen eine gewisse Qualität an Schärfe und Auflösung haben und sehr groß verlustfrei produzierbar sein. Dann haben mir zwei befreundete Software-Entwickler eine Kamera "geschrieben", die wir zusammen entwickelt haben: Es ist eine Kamerasimulation. Funktioniert wie eine Digitalkamera und ich kann damit "ingame" fotografieren.
Und dann hast Du später sogar auch noch Computerspiele umprogrammiert, damit die Kamera Fotos von Dingen macht, die man normalerweise in dem Spiel gar nicht sieht.
Ganz genau. Dann haben wir eine Möglichkeit gefunden, wie man in dem Spiel selbst in eine Art sichtbare Metaebene gelangen kann, in der gewisse Elemente der Spielstruktur unsichtbar sind. Daher sehen die Arbeiten teilweise aus wie Architekturmodelle oder sind collagenhaft. Es schwebt zum Beispiel eine Laterne irgendwo herum, die aber gar kein Fundament hat. Auf diese Weise sind die Bilder der Serie "Captures" entstanden. Jedes einzelne Bild wird dann im Bearbeitungsprozess in mindestens 400 einzelne Bildauschnitte gerastert, die einem bestimmten Algorithmus folgend, dann die fotografischen Aufnahmen machen. Diese einzelnen Ausschnitte werden dann letztlich wieder zu einem Bild zusammengesetzt.
Den Punkt, an dem Du sagst, das überlässt Du dem Computer, den finde ich sehr spannend. Ist das eine zufällige Ausführung?
Das mit dem Zufall stimmt natürlich nur bis zu einem gewissen Grad, da ich ungefähr weiß, was der Algorithmus macht. Zu sagen, es ist reiner Zufall, ist falsch. Ich würde sagen, ich nutze das ein Stück weit, als würde jemand blind malen; jemand, der so viel gemalt hat, dass er auch blind etwas malen könnte. Aber dennoch auch wieder ein Stück weit überrascht wird, wenn er die Augen öffnet.
Ist das Kapitel Computerspiele jetzt für Dich komplett abgeschlossen?
Es gibt rund 40 Arbeiten, die noch nicht gezeigt worden sind. Und die werde ich auch immer mal wieder in Ausstellungen einstreuen. Diesen Fundus an Material habe ich ja zum Glück zur Verfügung. Für den Moment ist es das aber erst einmal. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, vielleicht in irgendeiner Weise wieder mit dem Medium Computerspiel zu arbeiten.
Woran arbeitest Du momentan?
In meinen neuen Arbeiten geht es nicht mehr um Computerspiele. Im Prinzip sind sie die Umkehrung davon. Das Ausgangsmaterial sind Bücher, die teils um die 50 Jahre alt sind. Die Übersetzung dieses Materials ist allerdings wiederum digital (Scan), in Kombination mit einer manuellen, analogen Geste. Allerdings steckt auch hier wieder viel Algorithmus in der Arbeit, also Entscheidungen, die ich dem Computer überlasse. Die Arbeiten werden dann später auf Leinwänden ausgedruckt.
Was ist die Zielsetzung Deiner Kunst? Was möchtest Du ausdrücken?
Das Grundinteresse ist die Bildfindung. Mich interessiert immer das Medium und die Frage: Wie kommt man dahin? Wie beispielsweise bei den Computerspielen die Computerspielwelt. Oder bei den Scans: Was passiert bei Übersetzungen vom Analogen in das Digitale? Ich kann mir aber auch vorstellen, dass ich einmal ein neuronales Netz mit meinen Bildern und inspirativem Bildmaterial füttere und dieses mir in einem bestimmten Turnus wiederum Arbeiten ausgibt. Das ist total breit gefächert.
Möchtest du die Fotografie nach vorne bringen?
Mich interessiert die Suche. Ich will jetzt nicht so anmaßend sein und sagen: Ich will die Fotografie nach vorne bringen. Fotografie ist im Kunstkontext ja ein sehr dehnbarer Begriff. Die Grenzen auszuloten finde ich spannend. Software, Technik und Daten spielen dabei natürlich immer eine Rolle. Und vielleicht schaffe ich es, durch meine kontinuierliche Suche, die Grenzen der Fotografie zu erweitern.
Vielen Dank für das Gespräch, Raphael!
Einige Arbeiten von Raphael Brunk sind in der aktuellen Ausstellung "Neu ist alles was ich habe" in der Galerie am Meer in Düsseldorf sowie in der Online Ausstellung "Raphael Brunk" bei RPR ART zu sehen (beides bis 13. April 2018). Einige der gezeigten Arbeiten sind bislang weder produziert noch veröffentlicht worden.
Text: Ruth Polleit Riechert
Fotos: Jennifer Rumbach
Produktion: Christoph Blank