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Pluralismus und Marktorientiertheit - Ein Kommentar von Detlev Foth

 

Wenn es um Malerei geht, scheint alles bereits gesagt und bleibt ebenso wie zu allen Zeiten letztlich unbeantwortet. Bediente sich die Malerei der Worte, könnte sie auf ihre eigene und die sie bedingende Formen- und Bildsprache verzichten.

Was ist Kunst? Diese häufig und in hartnäckiger Weise formulierte Frage wird ebenso oft gestellt wie notdürftig und zumeist falsch beantwortet. Diese Frage ist durchaus legitim, wenn auch naiv. Eine solche Frage sollte erst, wenn überhaupt, nach eingehenden Studien der Kunst im Allgemeinen und der Malerei im Besonderen, gestattet sein. Dies behaupte ich aus dem einfachen Grund, weil sich nur durch vergleichendes Studium von malerischen Werken eine Sichtweise des Sehens, ein sogenanntes sicheres Auge, entwickeln kann. Man erspart sich einige Mühe und sehr viel Zeit, indem man überdies zunächst versucht herauszufinden, was keine Kunst ist und keine sein kann.

Es gibt dieses bekannte Bonmot von Max Liebermann: Kunst kommt von Können – käme es von Wollen, hieße es Wunst. Das ist heiter, aber nicht sehr klug. Weiser erscheint mir ein Gedanke von Theodor W. Adorno, der wie folgt lautet: Der Zweck des Kunstwerks ist die Bestimmtheit des Unbestimmten.

Nehme ich den Zweck des Kunstwerkes als seinen Sinn und seine Bedingung, und betrachte ich den Willen, das Unbestimmte zu bestimmen, als unbedingt, so wäre das eine Definition, die meiner Ansicht entspricht und die der Liebermanns im Grunde widerspricht.

Es führt nicht weit, wenn man das Wesen und den Wert von Malerei auf rein handwerkliche Qualität reduziert. Kunst vollzieht sich erst dann, wenn es die rein handwerkliche Qualität hinter sich lässt, sich möglichst weit von ihr entfernt.

Wenn man ernsthaft über Kunst spricht, so ist vorauszusetzen, dass man Kunst meint, die selbstverständlich auf einem handwerklich hohen Niveau basiert, ansonsten wäre der Versuch einer Begriffsbestimmung unseriös.

Die Bestimmtheit des Unbestimmten zu bezeichnen, das ist das Kunstwerk. In der Landschaftsmalerei bedeutet das: die Landschaft hinter der Landschaft darzustellen, das Wesen der Landschaft also. In der Portraitmalerei: die psychologische Analyse des Dargestellten über eine vorauszusetzende äußerliche Ähnlichkeit hinaus bildnerisch vorzunehmen. In der Aktmalerei: das über die Nacktheit Hinausgehende aufzuzeigen. In der Architekturmalerei: die über rein perspektivische Feststellungen und Unterstreichungen des Faktischen hinausgehende bildnerisch sich manifestierende Wahrnehmung zu formulieren.

Um sich der Kunst, in diesem Fall der bildnerischen Kunst, anzunähern, sollte man versuchen, sein Sehen zu schärfen, sein Sehen vielmehr neu zu erlernen wie das Vokabular einer neuen Sprache. Man sollte sich eine Unschuld des Sehens zurück erobern bei gleichzeitig zu erhöhendem und zu verfeinerndem Reflexionsniveau.

Man mag mir verzeihen, dass ich nur knapp auf die gängige Formel, Kunst sei, was gefalle, eingehe. Diese Ansicht ist, einmal davon abgesehen unendlich töricht zu sein, grundfalsch. Was nicht gefällt, kann durchaus hohe Kunst sein. Wirklicher Kunstgenuss und damit einhergehende Erkenntnis setzt, entgegen weit verbreiteter Ansicht, tatsächlich eine relative Bildung voraus. Einzige Ausnahme bildet die kindhafte Kunsterschließung.

Kunst vermag mehr, als man ihr gemeinhin zubilligt, sie ist unabhängig, nicht zu bändigen, geht ausschließlich eigene und stets unvorhersehbare Wege, sie erfindet die Welt immer wieder neu, ist nahezu nicht kategorisierbar, es sei denn auf sehr grobe Art, sie ist, mit einem Wort, unerträglich eigenartig. Und daher ist das Verhältnis zwischen den Kunstwerken und Ihren Liebhabern immer ein schwieriges und das Verhältnis zwischen ihnen und denen, die sie nicht oder falsch verstehen, von ganz eigener Art.

Die Abfolge von Stilrichtungen in der bildnerischen Kunst und in der Kunst allgemein hört nach 1980 im Wesentlichen auf. Vielfältige, unterschiedlichste und mehr denn je zuvor in der Kunstgeschichte auftretende, widersprüchliche Auffassungen von der Aufgabe und dem Ausdruck eines künstlerischen Werks stehen gleichberechtigt nebeneinander. Die Künstler der achtziger, neunziger Jahre und die Künstler von heute, bedienen sich neben den traditionellen Disziplinen der Malerei, Bildhauerei, Grafik, aller zur Verfügung stehenden Medien und Ausdrucksmöglichkeiten: Laser, Licht, Objektkunst, Aktionskunst, Performance, Video, digitale Fotografie.

Der Pluralismus verursacht Verunsicherungen, da nun die intellektuelle Auseinandersetzung über ein künstlerische Werk eigenverantwortlich geführt werden muss und auf keine Begriffsabsicherungen mehr zurückgreifen kann, führt andererseits zu einer großen Unabhängigkeit, was Benennung und Stilisierung von künstlerischem Werk betrifft. Der Pluralismus, so erschreckend freiheitlich und verwirrend er vielen Kunstliebhabern erscheinen mag, führt zu einer Freiheit des Kunstschaffenden in der Wahl der und damit nun aller Medien, aller Materialien, aller Ausdrucksformen und zu einer neuen Freiheit des Künstlers, sich unabhängig von Ismen zu definieren.

Die expressive Geste kann in jedem Medium zum Tragen kommen, von daher ist der Expressionismus als die von Kirchner so bezeichnete Geisteshaltung lebendig und über seine historische Bedeutung und seine kunstgeschichtliche Kategorie hinaus durchaus aktuell.

Ich bin ein überzeugter Befürworter und Verfechter der künstlerischen Lehre. Obgleich ich selbst niemals eine praktische Anleitung erfahren habe, sei es in Materialkunde, Farbenlehre, Anatomie oder Perspektive, glaube ich an den Wert der künstlerischen Lehre. Eben Erwähntes bedarf einer Erklärung. Ich habe Freie Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf studiert und bin Meisterschüler der Malerin Professor Rissa und habe tatsächlich niemals eine praktische Unterweisung erfahren. Kunstakademien unterscheiden sich in ihren Lehrauffassungen. Die Düsseldorfer Kunstakademie, zu meiner Zeit unter Norbert Kricke, ging von einer bedingten Lehrbarkeit von Kunst aus. Ihr pädagogisches Modell basierte auf dem Gedanken des Meisters, der seinen Schüler in freundlicher Zuwendung begleitet. Das Gespräch, die Sammlung und der Diskurs im Sinne von Michel Foucault, der den Vorgang der Herausbildung von Wahrheiten, in denen wir uns unser Sein zu denken geben, grundsätzlich als eben solchen Diskurs bezeichnet, waren an der Kunstakademie wesentlich. Die Kunstakademie Düsseldorf der letzten dreißig Jahre ist eine intellektuell ausgerichtete Akademie, die die Freiheit des Schülers als höchsten Wert betrachtet; von daher bezeichnet sie sich selbst in ungewöhnlicher Weise auch als Hochschule der Kunst und der Künstler. Es ist schwer zu vermitteln, wie man sich ein Kunststudium ohne praktische Unterweisung, wie in meinem Falle, vorzustellen hat, ich versuche es dennoch. Besser noch, ich zitiere eine Selbstbeschreibung der Kunstakademie Düsseldorf, denn sie sagt, wie ich finde, mehr aus über ihren Auftrag und ihr Lehrverständnis, als eine meiner Erklärungen es könnte:

 
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Die Düsseldorfer Akademie wurde 1773 durch den Kurfürsten Carl Theodor als Kurfürstlich Pfälzische Akademie der Maler-, Bildhauer- und Baukunst gegründet. Im Jahr 1819 wurde sie in den Rheinprovinzen Preußens Königliche Kunstakademie. Heute ist sie Körperschaft des öffentlichen Rechts und zugleich Einrichtung des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Düsseldorfer Akademie ist eine Hochschule der Kunst und der Künstler. Diese Bestimmung ist in der Grundordnung vom 30.06.2008 festgelegt, die ältere Akademieverfassungen aus den Jahren 1777 und 1831 fortführt. Ergänzt wird die künstlerische Bestimmung durch die Pflege und Entwicklung der kunstbezogenen Wissenschaften. Die künstlerische Betätigung geschieht im Sinne einer freien Kunst. Außer Malerei, Bildhauerei und freier Graphik schließt dies auch die Baukunst, das Bühnenbild, die Photographie sowie Film und Video ein. Dabei setzt die Kunstakademie auf künstlerische Qualität, Vielfalt und Internationalität.

Seit vielen Jahrzehnten ist dieses Konzept sehr erfolgreich. Die Akademie als Hochschule, aber auch ihre Künstler (Professoren und Absolventen) genießen hohes nationales und internationales Ansehen. Bereits im 19. Jahrhundert ("Düsseldorfer Malerschule") waren viele der berühmtesten Künstler Deutschlands Düsseldorfer Absolventen. Seit den fünfziger Jahren behauptet die Kunstakademie eine ähnlich bedeutende Stellung für die Kunst der Gegenwart. Dies äußert sich etwa durch maßgebliche Beteiligungen an internationalen Ausstellungen (z.B. der Biennale Venedig). Heute befindet sich in Düsseldorf die "Kunstakademie der fünf Kontinente" mit Lehrern und Schülern aus aller Welt. Die Künstler der Akademie repräsentieren die internationale Kunstszene; viele zählen zu ihren bekanntesten Protagonisten.

Man konnte in Düsseldorf zu jener Zeit als Student nicht erwarten, dass die Professoren ihre Studenten in Farblehre unterwiesen, ihnen perspektivisches Zeichnen beibrachten oder anatomische Grundlagen vermittelten. Die Akademie erwartete vorhandene, bereits erworbene Fertigkeiten und Kenntnisse. Die künstlerische Entwicklung eines Studenten wird an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf auch heute noch in erster Linie wohlwollend begleitet, und ich bin überzeugt von dem besonderen Wert dieser freiheitlichen Lehre. Über andere Akademien kann ich nicht urteilen.

Meine Kenntnisse der Kunstgeschichte habe ich der Literatur und einem anfänglichen und dann lebenslangen Studium zu verdanken; meine Fertigkeiten habe ich in Betrachtung von Meisterwerken, sei es in der Literatur oder in Museen, geschult. Ich möchte nicht behaupten, dass dieser Weg für die Mehrheit junger Erwachsener, die Kunst studieren wollen, empfehlenswert ist. Für mich persönlich sind nur Erkenntnisse entscheidend, zu denen ich aus vollkommen eigener Kraft und in einem steten Arbeitsprozess erworbener Erfahrung gelange. Wenn ich nicht meine Farben finde, wer soll es denn dann für mich tun? Wenn ich meine eigene Kompositionslehre nicht entwickeln kann, wer soll mir seine Konstruktion anbieten? Wenn ich eine Figur oder ein Porträt nicht zu erfassen vermag, wer soll es für mich übernehmen? Wer kann mir sagen, was ich will und wohin mein künstlerischer Weg geht und welcher Art meine Aussage ist? Das kann nur ich selbst.

Und obwohl ich dieser Überzeugung bin, glaube ich, was möglicherweise paradox erscheinen mag, fest an die Möglichkeiten einer traditionellen Kunstlehre. Manche Maler, die in der Entwicklung stehen, brauchen konkrete Anleitungen. Manche Künstler brauchen anfänglich Unterweisung. Sie brauchen dies, nicht weil sie weniger talentiert wären, sondern weil sie unsicher sind. Ich akzeptiere das, ich verurteile es nicht. Ich bin ein Verfechter des Korrekturzeichnens, obgleich niemals ein anderer je korrigierend in meine Zeichnung eingeschritten ist.

Mit allen Professoren, denen ich auf der Akademie begegnet bin, sei es der damalige Direktor Norbert Kricke, dessen Werk und dessen intellektuelle Unabhängigkeit und Kraft mich sehr bewegt haben, sei es Professor Sackenheim, der die Klasse Druckgrafik geleitet hat oder sei es eben meine Professorin Rissa, hatte ich konstruktive Gespräche, die mir geholfen haben, zu meiner Arbeit, wohin sie auch führen mochte, zu stehen, sie zu verteidigen und vor allem, sie weiterzuführen. Da war kein Raum für rein praktische Lehre. Man hätte mich ausgelacht, wenn ich nicht in der Lage gewesen wäre, meine Farben zu mischen oder mit Öl und Leinwand zurecht zu kommen, und man hätte es nicht geduldet, wenn ich ein Porträt nicht aus eigener Kraft hätte fertigen können. Man muss einen Kopf dann eben zwanzig Mal zeichnen und malen, man wird schon zu einer Lösung kommen. Deswegen auch kann Kunst nicht nur von Können kommen, sondern Kunst kommt vorwiegend vom unbedingten Willen, eine wesentliche Aussage in der ihr entsprechenden Weise bildnerisch zu treffen.

Ich gebe meinen Schülern jedoch alle erforderlichen Anweisungen, ganz konkrete Hilfen, Hinweise und Lösungsmöglichkeiten formaler, farblicher, Materialien betreffender Art. Ich zeichne Korrektur; ich erarbeite mit meinen Schülern Bewerbungsmappen für Fachhochschulen und Akademien. Musische Menschen, die am Anfang ihrer Entwicklung und Selbstfindung stehen, sind äußerst unterschiedlich und man sollte versuchen, jedem einzelnen von ihnen gerecht zu werden.

Man muss, was die Kunstlehre generell betrifft, das Niveau und die Intentionen der Schüler beleuchten. Ein durchschnittlich talentierter Mensch, der guten Willens ist, passable Bilder zu fertigen, wäre an der Kunstakademie Düsseldorf, von der ich ausschließlich spreche, da ich über andere Akademien nicht genügend informiert bin, falsch aufgehoben. Ein junger Mensch, der sein ganzes Leben auf die Kunst ausrichtet, wäre wiederum an einer Fachhochschule, die sehr konkret und auf einen späteren, fremd bezogenen Beruf ausgerichtet unterrichtet, unterfordert. Ein Mensch, der in seiner Freizeit zur eigenen Erbauung und aus Freude am Malen Bilder fertigt, wäre in einem Workshop bestens aufgehoben. Ein Mensch, dessen wahrhaftiger Wille es ist, sich der Kunst zu verschreiben, ein Mensch, der das Wagnis eingeht, alles, was ihn ausmacht und ernährt, aus sich selbst zu schöpfen, für den ist eine Akademie lediglich ein erster Schritt, sich mit anderen zu messen, nicht mehr. Jeder ernsthafte Künstler erarbeitet sein Werk ohne Absicherung, ohne Versicherung, er trägt sein Lebensrisiko und das Risiko, die von ihm angestrebte Qualität möglicherweise auch nicht zu erreichen, selbst. Kein Meister kann ihm die Verantwortung für sein Handeln und sein Werk abnehmen.

Joseph Beuys, der große Visionär und Analyst sozialkultureller Probleme und gesellschaftspolitischer Zusammenhänge, war seiner Zeit weit voraus, als er in den siebziger Jahren die Bewerbungsmappen abschaffen und die Akademie jedem Schüler, der Kunst zu studieren beabsichtigte, öffnen wollte.

Er ging davon aus, dass kein Mensch nicht ernsthaft Kunst studieren würde, was vollkommen richtig ist. Er ging ebenfalls davon aus, dass jeder Künstler für die Qualität und die Aussage seiner Arbeit selbst verantwortlich ist und dass, wie es zu allen Zeiten war, der Dilettantismus seine Erzeuger ganz alleine zu Fall bringt. Warum dann also ein anfängliches Ausscheidungsverfahren, das darüber hinaus nach zwei Semestern wiederholt wird? Leider konnte sich seine Vorstellung nicht durchsetzen und hat stattdessen lediglich zu dem Verlust seiner Professur geführt.

Noch immer werden lediglich zehn Prozent aller Bewerber zugelassen, und zwei Semester später wird die Hälfte dieser zehn Prozent aufgefordert, die Akademie zu verlassen. Von den etwa dreißig Studenten eines Jahrgangs, die ihr Kunststudium zu Ende führen, verfolgen später nur noch zwanzig Prozent den künstlerischen Weg, um ein Leben zu führen, das sich ausschließlich auf eine Berufung ausrichtet und über keinerlei soziale Sicherungen verfügt.

www.detlevfoth.de

Foto (Preview): Jörg Strehlau