Anna Nero und Bernhard Adams im Gespräch mit Ruth Polleit Riechert
Werke von Anna Nero und Bernhard Adams wurde kürzlich sowohl in der Show IDENTITÄT der Jüdischen Gemeinde Frankfurt ausgestellt, als auch in Deutschlands führendem Wirtschaftsmagazin, der WirtschaftsWoche, publiziert. Eine interessante Spannbreite in einem speziellen Jahr. Mit beiden Künstlern sprach Ruth Polleit Riechert.
Anna Nero, seit unserem Artist Talk in den Opelvillen im Sommer 2018 ist für Dich viel passiert. Neben einigen Solo Shows hast Du auch in einer Gruppenausstellung in verschiedenen Museen teilgenommen. Kürzlich war ein großes Werk von Dir in der Ausstellung IDENTITÄT in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt zu sehen – eine Show, die von Dir mit angeregt wurde. Was bedeutet Identität für Dich persönlich?
Identität ist ja nicht eine solide Masse, sondern eher eine Schichttorte aus vielen Ebenen – ich bin Künstlerin, Migrantin, Jüdin, Russin, Passdeutsche, Feministin, die Liste ist ziemlich lang. Die Ausprägung dieser unterschiedlichen Facetten ist nicht in Stein gemeißelt. Mal tritt eine mehr hervor, mal die andere. Ich kann aber sagen, je älter ich werde, desto wichtiger wird meine jüdische Identität. Vielleicht ist das eine Trotzreaktion auf den aktuellen Antisemitismus. Oder es kommt daher, dass mein Partner auch jüdisch ist.
Du bist in Moskau geboren und in Deutschland aufgewachsen. Einige Deiner Familienmitglieder sind ebenfalls Künstler. Welchen Einfluss hat Deine Familiengeschichte auf Dein Werk?
Die Migrationserfahrung hatte großen Einfluss auf meine Familie und meine Biografie. Allerdings verarbeite ich in meiner Arbeit wenig Biografisches. Die Tatsache, dass sowohl meine beiden Eltern als auch meine Großmutter Künstlerinnen sind, hatte sicher Einfluss auf meine Berufswahl. Mein Vater wurde in Deutschland zum Grafikdesigner umgeschult und hat mir sehr früh Photoshop beigebracht. Das hatte zumindest ästhetisch großen Einfluss auf meine spätere malerische Arbeit.
In welcher Form hat oder hatte Photoshop Einfluss auf Deine Malerei?
Ich plane meine Arbeiten nicht am Computer vor. Aber dadurch, dass ich sie Layer für Layer aufbaue und viele Verläufe und shiny Oberflächen benutze, bekommen sie manchmal eine digitale Ästhetik. Mein Vater ist Werbegrafiker, und so habe ich früher viel Zeit mit dem Computer verbracht. Das hat mich unterbewusst beeinflusst.
Das großformatige Werk, das wir für die Ausstellung IDENTITÄT ausgewählt hatten und auch in der vergangenen Ausgabe der WirtschaftsWoche zu sehen war, hat den Titel “Big Book”. Die Titel Deiner Bilder ergänzen die Aussage des Werkes meist auf humorvolle und interessante Weise. Wie kam es zu diesem Bild und diesem Titel? Welche Rolle spielte das Thema Identität?
Ich arbeite nie an einem konkreten Thema. Das ist in der Malerei auch eher schwierig, denn das wirkt schnell illustrativ. Ich habe mir über die Jahre bestimmte Abläufe und ein Formenrepertoire erarbeitet, mit deren Hilfe ich Bilder generieren kann. Meine Arbeit dreht sich um Möglichkeiten von Abbildung, um Malerei selbst und um das Leben der Dinge. Die Titel sind oft witzig und ironisch, sie sollen dem Betrachter einen Assoziationsraum vorschlagen.
Seit dem vergangenen Jahr hast Du auch einen Lehrauftrag an der Kunsthochschule Mainz. Wie arbeiten die Kunststudenten heute im Vergleich mit Deiner Arbeitsweise? Wie geht es bei Dir weiter und was sehen wir als nächstes von Dir?
Ich hatte im Wintersemester 2019 einen Lehrauftrag an der Kunsthochschule Mainz. Meine Studenten waren im ersten und zweiten Semester, also ganz neu im Kunststudium. Das ist eine spannende Phase, weil in kurzer Zeit manchmal große Lernsprünge gemacht werden. Ich habe keine großen Unterschiede zu meiner eigenen Zeit an der Kunsthochschule Mainz feststellen können, ich war ja selbst vor 10 Jahren dort Studentin. Diese Woche halte ich einen Vortrag über Abstrakte Malerei an der Alanus Hochschule und im Dezember an der Muthesius Kunsthochschule Kiel. Die Arbeit mit Studenten macht mir Spaß und ich werde diesen Weg weiter verfolgen.
Nächstes Jahr gibt es in Frankfurt eine Ausstellung mit meiner Mutter und meiner Großmutter in der Schulstrasse 1 A in Frankfurt, eine Doppelausstellung mit meiner Freundin Ellen Akimoto in Bremen und eine Einzelausstellung im Museum der Bildenden Künste Leipzig.
Bernhard Adams, in diesem Jahr ist viel bei Dir passiert. Das wichtigste ist sicher der Auftrag für den Entwurf eines Kirchenfensters. Welchen Einfluss hat diese Arbeit auf Dein Werk, in inhaltlicher als auch gestalterischer Form?
Genaues kann ich leider noch nicht verraten, da das Projekt noch in der Entwicklung steckt. Ich kann allerdings sagen, dass ich mich noch nie einer größeren Aufgabe stellen durfte. Den ersten Corona Lockdown habe ich mit hunderten Stunden Recherche verbracht und mein Sommerurlaub war eine 6.000 km lange Autoreise zu den großen Kathedralen Europas, um mir alle wichtigen Künstlerfenster anzuschauen.
Diese Fülle an Eindrücken hat mich fundamental geprägt, meine Arbeit unheimlich bereichert und zu vielen Prototypen in meinem Atelier geführt. Unter anderem experimentiere ich mit bedruckten Folien, die am Fenster befestigt werden. Das Fenster ist ein unheimlich spannender Ort für Kunst, weil es die Membran zwischen privatem und öffentlichem Raum bildet. Ich experimentiere darum mit Kunst aus Glas in den unterschiedlichsten Ausprägungen, für Fenster oder Wände. Abgesehen davon habe ich ein Faible für Werke deren Erscheinungsbild sich mit dem Licht und damit dem Tag stark verändern, darum setze ich auch häufig Metallicfarben in meinen Leinwandbildern ein.
Die Erfahrung mit großen Flächen und Kunstwerken in öffentlichen Räumen zu arbeiten hast Du ja bereits als Meisterschüler von Katharina Grosse gemacht. Die Gestaltung der Außenfassade am Ignatz Bubis-Gemeindezentrum in Frankfurt war ein weiterer Schritt für Dich in diesem Jahr. Wie bist Du an diese Aufgabe herangetreten?
Die Konzeption meiner Arbeit "Kristall" hat mir mehr Mut abverlangt als jedes andere Projekt davor. Als ich im Jahr 2012 vor meinem Studium in Düsseldorf für ein paar Tage in Berlin war, schaute ich mir den Liebeskind-Bau des Jüdischen Museums an. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass Architektur mich berührte: Betroffenheit, Trauer, Verlorenheit, Wut, Hoffnung, der Schrecken des Holocaust wurde für plastisch und inspirierte mich zu einer Reihe von Fotos. Ich habe die Fotos nie gezeigt, doch bei der Einladung zur Ausstellung fielen sie mir sofort wieder ein. Ich nahm diese Erfahrung und die Fotos aus Berlin als Ausgangspunkt für eine digitale Malerei, die ich auf Fensterfolie drucken ließ.
Das 40 qm große Fenster reiht sich in die Symbole ein, die links und rechts bereits an der Fassade des Gemeindezentrums in der Savignystraße zu sehen sind. "Kristall" wird eingefasst von einer riesigen gebrochenen Wand in Form einer Gesetzestafel und drei Menoraleuchtern nachempfundenen Dachträgern auf der anderen Seite.
Meine Arbeit leuchtet ambivalent in diesem architektonischen und inhaltlichen Spannungsfeld nach außen.
Bei den Materialien hast Du sowohl mit klassischen Formaten wie Glas als auch mit ganz neuen innovativen Auftragsflächen wie Folie aus Kunststoff gearbeitet. Siehst Du Deine Werke vor allem im öffentlichen Raum oder auch im privaten Bereich?
Ich sehe meine Werke immer in ihrem Kontext. Seit Juli ist beispielsweise ein kurzer Videoclip mit dem Enstehungsprozess einer Arbeit von mir auf Werbescreens überall in Deuschland zu sehen. Meine Werke kann ich mir überall vorstellen. Im Museum, über der Couch, online, in der Kirche, auf der Strasse, im nächsten Moonmuseum oder vielleicht ja bald im Kaufhaus. Ich würde nie etwas ausschließen bevor ich die Bedingungen kenne. Möglich ist Kunst überall.
Welche Pläne hast du für das Jahr 2021?
Als Künstler darf man sich seit der Corona Pandemie noch glücklicher schätzen, wenn man überhaupt die Möglichkeit hat zu arbeiten. Ich werde weitermachen und hoffe, dass ich weiterhin an so spannenden Projekten beteiligt bin. Eine brechend volle Vernissage dürfte wohl eher zu den Wünschen für 2022 gehören.