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I Like to See the Candle Burning at Both Ends – Ein Gespräch mit Jochen Mühlenbrink

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Jochen Mühlenbrink (*1980, Freiburg) beginnt sein Studium 2001 an der Kunstakademie Düsseldorf und absolviert dieses 2007 als Meisterschüler von Markus Lüpertz. Seitdem ist sein Werk in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen, darunter: Kunstmuseum Solingen, Bundeskunsthalle, Bonn, KIT, Düsseldorf, Kunsthalle Osnabrück, Morat-Institut, Freiburg, Osthaus Museum Hagen, Kunsthalle Wilhelmshaven, Kunsthal Rotterdam, Museum Het Valkhof, Nijmegen und Arti et Amicitiae, Amsterdam. Seine Arbeiten befinden sich in diversen privaten und öffentlichen Sammlungen, u.a.: G2 Kunsthalle, Leipzig, Stadtmuseum Oldenburg, Deutsche Bundesbank, NATIONAL-BANK, SCHUNCK Museum, Heerlen oder De Groen Fine Art Collection, Arnhem. 2020 erscheint mit JM im Kettler Verlag seine siebte Monografie. Mühlenbrink lebt und arbeitet in Düsseldorf und Oldenburg.

Wann hast Du angefangen als Künstler zu arbeiten und warum? Wann hast Du Dich das erste Mal mit Kunst beschäftigt?

Gezeichnet und gemalt habe ich schon immer. Mein Großelternhaus war voller wunderlicher Dinge, Bilder über Bilder, Skulpturen und Bücher bis unter die Decke. Das hat mich als Kind schon verzaubert. Mein Großvater Paul Gräb war großer Freund vieler Künstlerinnen und Künstler, er hatte ihnen für sein eigenes Lebenswerk als Pfarrer ausgesprochen viel zu verdanken. Sie gingen ein und aus, auch sie waren sehr großzügig zu ihm, das hat mich alles schwer beeindruckt. Seine Verehrung für Kunstschaffende hat ganz sicher stark auf mich abgefärbt. Zumindest viel stärker als seine wohlmeinende aber vehemente Warnung vor einer ungesicherten Existenz als freischaffender Künstler. Für mich gab es aber keine Alternative. Mein Oeuvre beginnt 2003.

Wie war Dein Weg zu dem, was Du heute künstlerisch machst?

Spielstraße, Feldweg, Landstraße, Graben, Führerschein und ab auf die Autobahn. Mal verpenn’ ich die Ausfahrt, und heize in die falsche Richtung, dafür wird super getankt. Immer mal wieder im Stau hier und da mal ’ne Panne, aber noch nie ein Totalschaden, zum Glück. Die Karre läuft.

Inwieweit haben die Akademie und Deine Professoren Dich und Deine Arbeiten geprägt?

Im Vorstudium habe ich bei Peter Kleemann studiert und den Austausch mit Dieter Krieg gesucht, der dann leider aufhörte. Zum Hauptstudium bin ich zu Markus Lüpertz gegangen, dessen Klasse ich dann als Tutor leitete. Kolloquien mit Siegfried Anzinger habe ich auch sehr geschätzt und für die Strenge habe ich den Austausch mit Helmut Federle gesucht. Sicher prägt einen die Studienzeit noch mehr, als man denkt, vor allem durch die Bekanntschaften, Begegnungen, Freundschaften, durch den Austausch mit Studienkolleginnen und -kollegen.

Wer oder was hat Dich beeinflusst? Was inspiriert Dich?

Mich wundert das Sichtbare der Welt. Aber dadurch habe ich eigentlich mehr mit dem Unsichtbaren zu tun. Eine Inspiration kann sich in Allem zeigen und gleichzeitig nicht so wichtig sein. Meistens finde ich Motive auf den Nebenschauplätzen des Lebens, an den Rändern des Sichtfeldes, in der Peripherie der alltäglichen Wahrnehmung.

Welches Anliegen verfolgst Du mit Deiner Kunst? Was möchtest Du ausdrücken? Was ist Dein Antrieb?

Ich strebe nach nichts. Ich bemühe mich um Passivität. In mir brodelt eine kreative Wut, die muss ich bändigen. Nicht mich antreiben.

Denkst Du die Kunst vom Medium und Material her oder vom Thema?

I like to see the candle burning at both ends.

Gibt es etwas, das Kunst nicht darf?

Nein, die Kunst darf alles. Aber sobald diese Freiheit angefasst und falsch hochgehalten wird, kann sie missbraucht sein und wenn Kunst instrumentalisiert wird, dann kann es gefährlich werden. Oder dumm.

Welchen Regeln folgt Dein Stil?

Weglassen. Und zur Not: auch diese Regel.

Welche Techniken und Materialien bevorzugst Du?

Ganz unterschiedlich, ob organisch oder synthetisch. Öl oder Acryl, Natur- oder Kunstharz auf Leinwand, Holz, Pappe, Aluminium oder Bronze. Das hängt vom Werkzyklus ab, in dem ich gerade stecke, alles was brennt und mich interessiert. Und die Langlebigkeit des Materials ist mitentscheidend.

 
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Wenn Dich ein Kind fragt, was Du künstlerisch machst, was antwortest Du?

Ich untersuche das Sehen. Und ich kümmere mich darum wie um ein Kind. Ich begleite es, wie es lernt zu denken und zu fühlen. Auch wenn es mal wieder nicht auf mich hört – ich freue mich, dass es auf der Welt ist.

Kaufst Du Kunst?

Ja, schon immer. Damals mein Großvater, jetzt viele Freunde und Bekannte leben mir vor, dass man auch mit kleinem Budget ganz wunderbar in und mit der Kunst leben kann.

Was zeichnet die Kunstszene im Rheinland für Dich aus?

Eine unglaublich große Dichte an Museen, Kunstvereinen, Galerien und Projekträumen und das hohe Niveau.

Welches Museum und welche Galerie beeindruckt Dich?

Viele.

Gibt es Künstler, die Du bewunderst?

Viele.

Welche Ausstellungen hast Du zuletzt besucht?

Zu wenig.

Eine typische Angewohnheit von Dir?

Zu viel.

Kannst Du uns einen typischen Arbeitstag beschreiben?

Nein, den einen typischen Tag gibt es nicht. Meinen biologischen Rhythmus verschiebe und wechsle ich regelmäßig. Mal bin ich ein Tagmensch, mal ein Nachttier.

 
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Inwieweit verändert die Digitalisierung den Kunstmarkt? Welche Rolle spielt für Dich die Digitalisierung in der Kunst und im Kunstmarkt?

Direkt spielt das Digitale für meine Kunst keine Rolle. Meine Fragestellungen zu Malerei und Ihrer Darstellung sind vor dem Original im realen Raum anschaulicher. Wie sich Veränderungen der Digitalisierung auf unsere Wahrnehmung auswirken, ist interessant – da bin ich ganz in der Rolle des Beobachters. Passiv.

Inwiefern verändert Corona die Kunst, die Künstler, die Galerien, die Institutionen und den Kunstmarkt?

Der Schaden für die ganze Kulturbranche ist bestürzend. Wie lange kann eine lebendige Kulturszene die Einschnitte und Einschränkungen aushalten? Wir als Gesellschaft – und ich appelliere an die Politik – sind in der Verantwortung, unsere Kulturlandschaft und ihre Häuser zu retten. Die Kunst selber kann nicht eingeschränkt werden. Sie spiegelt allenthalben die Schranken, die Not und die Gefahr wider. Ihre Quelle ist eine andere und gerade in Zeiten einer existenziellen Bedrohung hat sie oft ihr höchstes Potenzial. Zudem wird sie von außen besonders gebraucht – nicht nur um Visionen zu geben, vielen auch Trost und Hoffnung, sondern allein, um für die Ewigkeit Zeuge zu sein: für eine schwere Zeit aus der Sicht einer schwierigen Spezies auf einem erstaunlich schönen Planeten.

Was können wir in nächster Zeit von Dir sehen? An welchen Projekten und Ideen arbeitest Du momentan?

Neue Arbeiten zeigt meine Galerie ASPN auf der Art Rotterdam 2021 (1. bis 4. Juli). Ab Herbst freue ich mich auf meine fünfte Soloshow bei Gerhard Hofland in Amsterdam, dazu kommen Gruppenausstellungen unter der Leitung von Burkhard Brunn “Über den Schatten” und folgend “Über das Verschwinden” in Köln, Berlin und Antwerpen. Außerdem eine Gruppenausstellung im Le SHED, Centre d'art contemporain de Normandie, kuratiert von Bruno Peinado. Nach “Fragil” (2013) und “Falz” (2018) bereite ich gerade meine dritte Solotournee vor. Sie startet 2023 im Museum Bensheim in Hessen.

www.jochen-muehlenbrink.com

Interview: Kasia Lorenc, Christoph Blank
Produktion: Christoph Blank
Fotos: Jennifer Rumbach