Lia Sáile – Aller Tage Morgen
Die Arbeit “Aller Tage Morgen” ist eine Kunstinstallation im öffentlichen Raum, die sich in bestehende Systeme einklinkt und den Alltag unterwandert. Der akustische Teil der Installation wird im öffentlichen Raum in einer halboffenen Tiefgarage abgespielt. Das dort vorhandene Tonsystem wird gehackt; statt Vogelgezwitscher werden nun drei aktuelle Sounds von Marktplätzen der Ukraine (Kharkiv), des Iraks (Erbil) und Afghanistans (Kabul) abgespielt. Die Soundaufnahmen wurden kurz vor der Eröffnung von drei Ortsansässigen für das Projekt aufgenommen, indem sie einen ausgewählten lokalen Marktplatz durchstreifen.
Aus den fünf Sprachen Deutsch, Ukrainisch, Arabisch, Dari/Farsi sowie Kurdisch entsteht ein ineinandergeschobenes Relief-Objekt. Die jeweiligen Schriftbilder werden buchstäblich ineinandergeschoben, geschichtet, verkeilt und verwoben. Das aus Cortenstahl gelaserte Objekt schützt und erhält sich durch die langsam entstehende Rostpatina selbst. Neben einem engen versteckten Nischendurchgang, an silberner Aluwand eines Hotels und YouthHostels angebracht, weicht das Schriftbildobjekt der Konkurrenz an gigantischer Überladenheit von Baustellen, Riesenrad und Hochhäusern aus und erzeugt durch seine kleine, fragile und doch scharfe, robuste Präsenz eine poetische Irritation.
“Aller Tage Morgen” thematisiert Gleichzeitigkeit und Komplexität im Kontext des Alltags einer globalisierten, vernetzen, Informationen-austauschenden, digital zugänglichen, komplex erlebbaren Welt. Die Installation beschäftigt sich mit sich verändernder Wahrnehmung von öffentlichem Raum durch Sound und visuelle Signale und beleuchtet die Veränderung der Perzeption durch Informationsaufnahme. Der Alltag, das Moment des Alltäglichen, der alltäglichen Lebenswelt und ihrer Veränderungen und verschiedenen Konnotationen wird durch Einschleusen in einen anderen Alltag neu erlebt und hinterfragt. Subversiv behutsam und zugleich drastisch klinkt sich die Arbeit in die lokale Welt ein – in bestehende Räume, bestehende (Sound-)Systeme, bestehende Wege, Infrastrukturen, Orte. Auf verschiedenen Ebenen öffnen, verschieben und verheddern sich Grenzen und ihre Ausläufer. Die sensorischen (akustisch und visuell) und inhaltlichen (Kontext) Informationen erschließen kein kohärentes, homogenes Bild, sondern zersplittern und brechen das Erfahrene auf. Was zunächst harmlos und beiläufig ins Unterbewusste eindringt entfaltet sich zunehmend komplex zur Veränderung des Verständnisses von Zeit, Raum und Örtlichkeit. Das akustische Einspielen von Alltagssituationen, die mit menschlichem Austausch, Vielfalt, Zusammenkunft, Nahrungsaufnahme, Lebensnotwendigkeit und Lebendigkeit verbunden sind, treffen auf die Information und damit verbundene Assoziation von deren Ursprung aus Kriegs- und Krisengebieten.
Mit wichtigster Teil der Arbeit, auch aufgrund der teils schwierigen Bedingungen vor Ort, ist die Kooperation mit den Menschen vor Ort, die in den jeweiligen Ländern und Gebieten den Sound erarbeitet haben.
Spek/trum, bis 23.19.2022, Werksviertel-Mitte Kunst, München
Installationsphotos: Lia Sáile
Porträt von Eröffnung: Ivana Bilz
Submission by Lia Sáile
www.liasaile.com