Die Parallaxis will erkundet werden – Ein Gespräch mit Christof John
„Dass das Werk bzw. die Werkentwicklung eigenständig, aber auch in Kenntnis des komplexen aktuellen Kunstumfeldes vorangetrieben wird“, das ist es, worauf Rolf Hengesbach, Galerist, achtet, sofern man als ambitionierter Künstler in seiner Galerie ausgestellt werden will. Und in der Tat, nichts scheint so komplex und undurchdringlich wie das sich immerwährend drehende Mobile der Kunst von Christof John.
Konfrontiert mit dem Anblick seiner Werke, wird der Blick des Betrachters sogleich zu mehreren Wahrnehmungszuständen geführt, die sich zu widersprechen scheinen: Unschärfen und Schärfen wechseln sich ab, die Dominanz bestimmter Farben springt hin und her und auch wechselnde Bildstrukturen vereinnahmen den Blick, so dass gar nicht entschieden werden kann, welches denn eigentlich die schlüssige Bildinterpretation sein könnte. Und es gibt immer wieder Abweichungen von dem eigenen Konzept, sollen wir sie bewusst Bild-Fehler nennen? Bewusst gestreute Irritationen? Gewiss aber ist es ein Wechsel von Temperaturen und emotionalen Momenten. Diese vermeintlichen Irritationen, diese Irrungen und Wirrungen sind ein gelungener Twist, der unsere künstlerische Perzeption reizt.
Die Bildstrukturen und Bildmuster können als geometrische Ornamente bezeichnet werden, sie verschmelzen aber miteinander und lösen immer wieder einen gewissen „Clash“ aus, welches ein Grundmerkmal der in den letzten Jahren entstanden Bilder ist.
Der Künstler sieht sich denn auch in einer Doppelrolle „als Erfinder und zugleich Wissenschaftler, der Bilder malt und sich neue Sprachen ausdenkt“ und selbst dabei als Beobachter neben sich tritt, um einzuschätzen, wie die Unvereinbarkeiten, die er erzeugt, sich miteinander arrangieren können. Der Ausgangspunkt der Bilder sind wohlbekannte Elemente, aber wie diese Elemente immer wieder anders kombiniert und rekombiniert und umgewendet werden, das erzeugt eine künstlerische Sprache, die unverkennbar etwas sehr Eigenes darstellt, von der die Kunst lebt, und was man bei seinen Werken in jeder Hinsicht behaupten kann.
Die Farben, mal leuchtend, mal pastellen, sind in ihrem Aufeinandertreffen zweifelsohne vibrierend und von einer fesselnden Extrovertiertheit. Setzt man sich als Betrachter profunder mit seinen Arbeiten auseinander, so bemerkt man: jede Extrovertiertheit kann in eine Introvertiertheit umschlagen – unter grellen Farbkulissen lagert eine feine, zuweilen zarte Malweise, die Strichsetzung verläuft subtil, jeder Strich ist anders und jedes scheinbare Strichschema ist immer wieder leicht anders und wird in der einzelnen Setzung immer wieder anders umgebrochen.
Nicht umsonst nennt sich Johns jüngste Ausstellung „Parallaxis“. Das scheinbar rätselhafte altgriechische Wort bedeutet, dass man etwas verändert, oder vertauscht. Und so kommen wir auf den Ausgangspunkt zurück, in welchem es hieß, dass Johns Bilder verschiedene Aggregatzustände vereinen. Es ist ein Jonglieren mit den Farben, jenseits der Supernova spüren und erfahren wir auch ihre Fragilität, ja Sensibilität.
Entsprechend zu unseren Betrachtererfahrungen ist auch die Herangehensweise des Künstlers. Am Anfang steht nicht der fertige Plan, sondern „die Arbeit an sich ist das Anliegen und der Antrieb, da sie aus einer inneren Notwendigkeit heraus entsteht. Auch wenn möglicherweise anfänglich verschiedene Startimpulse als Anlass für eine Arbeit dienen, sind diese jedoch nicht ausformuliert oder zu Ende gedacht, um eine größtmögliche Offenheit für die Arbeit zu behalten. Die Arbeiten gehen dann ihren eigenen Weg.“
Wenn man Christof John fragt, ob er die Kunst vom Medium und Material oder vom Thema her denkt: „Das Thema bildet nur einen Teil des Anfangs, aber so einfach ist es dann doch nicht. Denn das Medium hat unter Umständen die Kraft, die Sprache neu zu formen und plötzlich können Begriffe oder Themenkomplexe zu klein scheinen und müssen neu definiert werden.”
Auch der Weg zu einem vollendeten Künstler, zu einem, dessen Werke eine Komplexität in sich tragen, ohne dabei bleischwer, sondern von einem gewissen Esprit, von einer Leichtigkeit getragen zu sein, ist ein Weg, der sich immer wieder am einzelnen Bild abarbeiten muss.
Wie war er, wie war dieser Pfad zu dem, was Christof John als Künstler heute ist?
„Wie Rutsche fahren. Um rutschen zu können muss man manchmal mühevoll Treppensteigen, dann kommt das Rutschen, voller Freude, voller Leichtigkeit. Dann alles wieder von vorne. Meistens kann man es kaum erwarten wieder zu rutschen, dann sind die Treppen auch gar nicht so schlimm“
Diese Freude, diese Leichtigkeit, trägt auch die Arbeiten Christof Johns. Man denkt unweigerlich an Verläufe, die sich wie ein farbiger, organischer Farbstrom durch den Bildraum schlängeln, die eben diesen Bildraum mit einer ungeahnten Dynamik füllen, die durch die geometrisch angeordneten Strukturen, die sich netzartig übereinander schieben, nur noch verstärkt wird.
Die Klarheit, die partiell aufgeräumten Strukturen der Werke, die den Empfänger zunächst „laut“ empfangen, entwickeln im Miteinander einen Sog und nehmen den Betrachter in diese komplexe Welt auf; sie rufen ihn auf, diese Galaxis, Pardon, Parallaxis, zu erkunden.
So ergeben die Worte Rolf Hengesbachs Sinn, wenn er sagt: „Ein Künstler muss eine hohe Sensibilität und Reflektiertheit bezogen auf das Material, in dem sie jeweils arbeiten, aufweisen und Grundfragen unserer gegenwärtigen Verortung der Welt aufweisen.“
Diese Attribute finden sich zweifelsohne bei John, der den Rezipienten in eine unverkennbare Welt, die erkundet werden muss, mitnimmt.
Der Malgrund als solcher ist bei ihm nicht bloße Projektionsfläche, sondern eine aktive Instanz, die sich in der Überlagerung und im stetigen Umwenden von Gefasstheiten zu einer gewissen Transzendenz entwickelt, die komplex ist. Diese möchte man durchdringen und begreifen, was aber immer wieder ins Straucheln gerät und scheitert.
„Ich denke die Zeit der Pandemie hat gezeigt, wie stark die Sehnsucht nach einer realen, sinnlichen Erfahrung sein kann. Und das digitale Abbildungen und Vertonungen von Ausstellungen, Konzerten und Tanz nur als Ergänzungen zu begreifen sind und sie keinen Trost spenden, wenn das der einzige Kanal ist, auf den man zugreifen kann. Anders verhält es sich natürlich, wenn die Kunst genau mit diesem Thema umgeht, Arbeiten entstehen, die in der digitalen Welt geboren sind und nur ihrer willen existieren.“
Zum Glück aber sind die Werke Christof John nicht inmitten der digitalen Welt geboren, sie sind keine NFTs, sondern real existierend, kein Trugschluss unseres Begreifens, keine digitale Imagination.
Und nun? In welche Welten lädt Sie das Werk von Christof John ein? Die Parallaxis will erkundet werden.