Zwischen Materialität und Abstraktion. Die Mehrdeutigkeit der Objekte von Denise Werth
Die in Hagen lebende Künstlerin Denise Werth positioniert sich mit ihren skulpturalen Arbeiten in der zeitgenössischen Kunstszene als eine Schöpferin, die den traditionellen Begriff des Objekts neu interpretiert. Nach Studien in Wuppertal und Essen und prägender Ausbildung an der Kunstakademie Düsseldorf unter Thomas Scheibitz und Katharina Fritsch hat Werth seit ihrem Abschluss 2022 bereits an zahlreichen Ausstellungen in Nordrhein-Westfalen und Europa teilgenommen – von Kunstvereinen über etablierte Museen bis hin zu internationalen Galerien.
Werths künstlerische Praxis beginnt im zeichnerischen Experiment, geht über digitale Prozesse und mündet schließlich in dreidimensionale Werke. Dieser mehrstufige Entstehungsprozess ermöglicht es ihr, ein Repertoire potenzieller Bildobjekte zu entwickeln. Bekannt gewordene und inhaltlich geladene Formen werden dabei abstrahiert, neu kombiniert und in unterschiedlichen Maßstäben umgesetzt. Mit Materialien wie Styropor, Styrodur oder MDF, die sie mit kräftigen Lackfarben – häufig in intensiven Blau- und Rottönen – bearbeitet, erschafft sie Objekte, die auf den ersten Blick durch ihre klare Formensprache überzeugen. Gleichzeitig unterlaufen gezielt eingebrachte Unebenheiten und Brüche in der Oberfläche die Vorstellung einer perfekten, industriell anmutenden Ästhetik.
Ein zentrales Merkmal von Denise Werths Arbeiten ist ihre Mehrdeutigkeit. Die plastischen Objekte eröffnen dem Betrachter auf den ersten Blick den Anschein vertrauter Alltagsformen oder ikonischer Bildmotive. Bei näherer Betrachtung jedoch entfaltet sich eine Komplexität, die an klassische Vexierbilder erinnert – erst erscheinen die Formen als eindeutig, dann stellen sie in einem Moment des Perspektivwechsels ihre gewohnte Zuordenbarkeit in Frage. Diese Kippmomente fordern zu einer aktiven Auseinandersetzung auf: Die Skulpturen gewinnen erst durch physische Nähe und das Erkunden aus verschiedenen Blickwinkeln ihre volle Aussagekraft. Dabei wird nicht nur die materielle Präsenz, sondern auch die flüchtige Wahrnehmung des Objekts in den Mittelpunkt gerückt.
Monumentale Werke, die bereits beim Betreten eines Ausstellungsraums ins Auge fallen, etwa in Form einer Skulptur, die an ein Denkmal erinnert, aber zugleich mit spielerischer Übertreibung daherkommt, schaffen einen Dialog zwischen Erhabenheit und Ironie. Auch die gezielte Verwendung architektonischer Details, wie Stuckelementen oder gotischen Fensterelementen, wird in neuen Zusammenhängen interpretiert. So werden traditionelle Symbole mit modernen Codes, wie sie in sozialen Medien präsent sind, verschmolzen und eröffnen dem Betrachter einen facettenreichen Raum für Assoziationen.
Denise Werths Arbeiten bewegen sich zwischen greifbarer Materialität und digitaler Abstraktion. Sie entfalten eine überzeugende Präsenz im Raum und wirken zugleich wie surreale, fast virtuelle Erscheinungen.
Exemplarisch für Werths methodische Herangehensweise steht die Arbeit Decoration I, die Prozesse militärischer Ehrungen thematisiert und zugleich den häuslichen, traditionell weiblich konnotierten Raum ins Zentrum rückt. Hier wird der Begriff Decoration doppeldeutig verwendet: Er verweist einerseits auf die kunstvolle Ausgestaltung des häuslichen Umfelds, das mit Fürsorge, kultureller Erhaltung und Sorgearbeit assoziiert wird, andererseits auf militärische Auszeichnungen, die für besondere Leistungen verliehen werden und zugleich patriarchale Machtstrukturen sowie Gewaltausübung in sich tragen können. Diese Gegenüberstellung zeigt, wie unterschiedlich ein und derselbe Begriff in verschiedenen Kontexten wirken kann. Die geometrisch präzise Form des Objekts erinnert sowohl an feminine Körperlichkeit als auch an ein Abzeichen, wie es an einer Uniform oder in einer Vitrine zu finden sein könnte. Auch wenn der körperliche Einsatz in beiden Lebensbereichen bis ins Extreme getrieben werden kann, variiert die öffentliche Anerkennung deutlich – ein Spannungsfeld, das Denise Werth in ihrer künstlerischen Praxis eindrucksvoll auslotet.
Durch ihre methodische Herangehensweise, die vom Skizzenbuch über digitale Umsetzungen bis hin zur plastischen Realisierung reicht, fordert Werth konventionelle Wahrnehmungsweisen heraus und lädt zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Identitäts- und Erfahrungsprozessen ein. Ihre feministische Perspektive, gepaart mit einem feinen Gespür für Ambivalenz, macht ihre Objekte zu komplexen Behauptungen, die den Betrachter immer wieder zu neuen Interpretationen anregen.
Mit ihrem interdisziplinären Ansatz trägt Werth wesentlich zur aktuellen Kunstdebatte bei und zeigt, wie traditionelle Formen in einem modernen Kontext neu und überraschend gestaltet werden können. Ihre Arbeiten eröffnen so einen spannenden Diskurs, der sowohl die Materialität als auch die symbolische Bedeutung von Objekten in den Fokus rückt. Ein Ansatz, der das Potenzial hat, die Wahrnehmung zeitgenössischer Skulpturen nachhaltig zu bereichern.