Kurt Link, Verhinderung und Erfüllung - Erinnerungen von Detlev Foth
Als ich, sechzehnjährig, Kurt Link 1977 in seinem Ossumer Wohnatelier aufsuchte, fielen mir die mit Torf ausgekleideten Wände auf, an denen mehrere Kohlezeichnungen, teils sparsam koloriert, lose befestigt waren, die Szenen, mehr noch: Situationen der Geburt seiner Tochter Esther beschrieben. Er war ein Meister der Freihandzeichnung, die mehr, nicht verwunderlich, dem Sehen des Bildhauers entstammten, als dem die Räumlichkeit verschieden umfassenden Sehen des Malers. Sie erinnerten mich auch an konstatierende Zeichnungen, hier vielmehr Aufzeigungen, Joseph Beuys’, seinem ehemaligen Kommilitonen der Klasse Mataré an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf.
Link war, als ich auf ihn traf, um - kurz vor meinem Studium der Freien Malerei an der KA Düsseldorf -, Sammlung zu finden und ein Gespräch zu suchen, bestenfalls, in Ahnlehnung an das pädagogische Ideal der Akademie, freundliche Begleitung zu erfahren, in einer Phase, die man als bedroht bezeichnen konnte. Er lebte zu diesem Zeitpunkt von Sozialhilfe und hatte, ganz im Gegensatz zu den fünfziger und sechziger Jahren, weder Kontakt zu effektiv arbeitenden Galerien noch nennenswerte Aufträge.Als Atelier diente ihm eine kostenlos vom Ossumer Pfarramt zur Verfügung gestellte Kapelle, und für eine geringe Miete wohnte er im so genannten Gesindehaus von Schloss Pesch, einem dreiflügeligen Jagdschloss in Meerbusch, zwischen Strümp und Ossum-Bösinghoven, das heute als Restaurant, Standesamt und Hotel dient. Seinerzeit versuchte Kurt Link erfolglos, die Besitzer von Schloss Pesch zur kostenfreien Beherbergung einer von ihm vorgesehenen Künstlerkolonie und internationalen Akademie Ossum zu bewegen.
Ich war kurze Zeit, kaum ein paar Monate, Kurt Links Schüler und musste mich von ihm trennen, da ich meine Konzentration wieder ungeteilt und unbeeinflusst meiner Malerei widmen wollte. Zuvor und zunächst: Kurt Link betrachtete – aus einem, neben der expressiven Modernität seines Denken vorhandenen, ihn ebenfalls steuernden Konservatismus heraus- sein Atelier als Meisterwerkstatt und mich folglich und folgerichtig als des Meisters Lehrling und zahlte mir, trotz seiner erheblichen finanziellen Probleme, großzügig ein monatliches Gehalt. Er zog mit mir sogar zur IHK, um sein Atelier als Betrieb anerkennen zulassen, stieß dort auf Verwunderung, Verständnislosigkeit und natürlich auf Ablehnung.
Bewusst habe ich die Herstellung seiner Sandreliefs erlebt, ansonsten betrachtete und studierte ich Torsi und Büsten aus Ton, viele Zeichnungen und etliche Gipsausformungen, zu deren Realisierung, den Bronzegüssen, Geld und Auftrag fehlte. Kurt Link war zu jener Zeit einundfünfzig Jahre alt. Wir sprachen häufig über den Philosophen und Esoteriker Rudolf Steiner, der Link sehr bewegte, außerdem über Nietzsche und das Werk Hölderlins. Kurt Link verfügte über ein profundes Wissen; erstaunlich war, dass ich weder in seinem Atelier noch in seiner Wohnung Bücher fand.
In der kurzen Zeit unserer gemeinsamen Arbeit im Atelier erlebte ich Link als besonders befähigten Pädagogen und Vermittler schwieriger künstlerischer Zusammenhänge: es ist
außerordentlich bedauerlich, dass er keine Professur an einer - hier wäre Düsseldorf naheliegend gewesen - Akademie erhielt, wie zum Beispiel sein Freund Erwin Heerich.
Mit großer Hochachtung und voller Liebe sprach Link häufig von Beuys’ Werk, vom Freund Joseph und dessen Konzeption einer Freien Akademie, seinen Thesen zur Sozialphilosophie. Beuys unterstützte Link unregelmäßig mit kleinen finanziellen Zuwendungen.
Kurt Link war ein bipolarer Mensch, dem es an kontinuierlicher Unterstützung und allgemein an Akzeptanz und Erfolg mangelte, ein vor Kraft strotzender, aber auch ein kranker Mann, dessen Auftreten in manischem Zustand die Menschen verstörte, oftmals abstieß.
So konzentriert und gut organisiert Link arbeiten konnte, so destruktiv und Kraft zehrend waren seine exzentrischen Kommunikationsausbrüche, wie man die – er, immerzu das Selbst erklärend- von der eigenen Person und der Verpflichtung gegenüber ihrem Werk besessenen Monologe bezeichnen muss.
Kurt Link war verschwenderisch, großzügig, konnte aber auch kleinlich sein, wenn er z.B. die Erfolge anderer Künstler, Namen erübrigen sich, gering redete. Seine rauschhaften Auftritte schadeten seinem Ruf nachhaltig und brachten ihn, ähnlich wie Herbert Zangs oder, wenn auch in weit geringerem – nahezu nicht vergleichbarem- Ausmaß, Norbert Kricke, zumindest zeitweise ins Abseits.
Kurt Links Biografie und sein Werk wären - von allem her - ideal für die Promotionsarbeit eines aufgeschlossenen Kunsthistorikers; sein Leben beinhaltete Wahrheitssuche, Wahrhaftigkeit, gekennzeichnet von Stolz, Krankheit, Schmerz, Demut und Fruchtbarkeit. Von außen, oberflächlich betrachtet, war sein Leben ein personifiziertes Künstlerklischee voller Hochfahrenheit und Verrücktheit, seine Existenz, ein Vagabundentum.
Meines Wissens existiert kein umfassendes Werkverzeichnis Links, auch dies: eine Aufgabe. Wie sich Kurt Links Werk letztlich kunstgeschichtlich und unabhängig vom aktuellen Kunstmarkt einordnen lässt, wird sich noch zeigen; meines Erachtens wäre es für eine gültige Kategorisierung noch zu früh, wiederentdecken sollte man ihn jedoch unbedingt.